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     912  1 Kommentar Könnten wir das alles wirklich besser?

    Ich beobachte hierzulande eine gewisse Überheblichkeit in unseren Betrachtungen, wie die Briten derzeit mit ihren Entscheidungen zum Brexit stocken und ins Chaos zu fallen drohen.

     

    So eine Hochnäsigkeit ist allerdings wenig angebracht in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, in dem man, im Gegensatz zu Großbritannien, den eigenen Wählern niemals die Gelegenheit gegeben hat, bei wichtigen Dingen direkt mitzuentscheiden.

     

    Natürlich ist es einfach, dann, wenn man sich selbst etwas nicht traut, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Doch ob wir es tatsächlich besser könnten als die Briten?

     

    Wir haben ja ein ziemlich merkwürdiges Verhalten zu Wahlen in Deutschland, finde ich. Die wirklich wichtigen Sachen sind ja alle ohne das Volk zu fragen im Parlament durchgewunken worden. Ich denke, bis auf die Deutsche Einheit besitzt eigentlich keine der wegweisenden Entscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte eine demokratische Legitimation.

     

    Haben die Deutschen über den Euro abstimmen können? Njet. Über den Atomausstieg? Njet. Die Energiewende? Njet. Flüchtlinge? Njet, natürlich nicht, wo denken Sie hin, Genossen.

     

    Und wenn dann wirklich einmal irgendwo gewählt wird, und das Ergebnis ist für die Elite schockierend, dann werden eben entweder diejenigen, die gewonnen haben, zu Aussätzigen erklärt, oder es wird die Wahl eben schlichtweg wiederholt. Wie es gerade in Hessen passiert.

     

    Ich denke, wir sollten uns in Hinsicht auf die Demokratie eher zurückhalten, anderen Ländern mit Hochmut entgegenzutreten. Übrigens: Adolf Hitler ist ja nicht von einem heute zur Unperson erklärten greisen Feldmarschall zum Führer inthronisiert worden, wie man heute oft den Eindruck hat, sondern von den Deutschen in freier und geheimer Wahl zum Mehrheitsführer im Parlament gewählt worden.

     

    Ich habe mir mir in den letzten Wochen viele der Debatten im britischen Unterhaus angeschaut, und ich muss sagen: Mein Kompliment. Wie das Parlament es geschafft hat, über die Parteigrenzen hinweg dem neuen Premier den No-Deal-Brexit unmöglich zu machen, ist schon klasse. Und das hat vielen Abgeordneten nicht weniger als ihre Karriere gekostet.

     

    Auch der Umgang dort miteinander: Wie wäre das wohl bei uns, wenn Martin Schulz im Bundestag gezwungen wäre, Alice Weidel mit „my honourable lady“ anzureden?

     

    Man muss sich zudem immer vor Augen halten, worum es hier geht. Es geht um nichts Geringeres das Schicksal Großbritanniens, und um eine Mehrheit von 51 zu 49. Wie sollte die Umsetzung so einer Entscheidung also friktionslos ablaufen?

     

    Das ist ja von der Dimension her noch größer, als wenn man bei uns abstimmen würde, die Mauer wieder aufzubauen. Auch daran sollte man bei der Diskussion um den Backstop einmal denken.

     

    Würde sich unser Parlament da leicht tun? Wenn eine Volksabstimmung ergeben würde, wieder eine Mauer zu bauen? Klar, das machen wir in wenigen Sitzungen. Nein, halt, das würde die Kanzlerin im Alleingang entscheiden. Schließlich funktioniert so ja mittlerweile die Demokratie à la Germany.

     

     

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Könnten wir das alles wirklich besser? Überheblichkeiten und Demokratie à la Germany