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     531  0 Kommentare Börsen nach Rekordjahr: Mächtig aufgeblasen

    Die Notenbanken geben wieder Vollgas, um Staaten und Unternehmen über Wasser zu halten. Und treiben damit an der Börse den gewaltigsten Bullenmarkt aller Zeiten voran. Die Wirtschaft indes kann kaum noch folgen.Es braucht zurzeit nicht viel, um Aktienkurse in den Keller zu jagen. Manchmal reicht sogar eine kleine Eisenkugel, wie Tesla-Chef Elon Musk unlängst bei der Präsentation des neuen Elektro-Pick-up-Trucks seiner Firma erleben musste. Eine solche warf nämlich Chefdesigner Franz von Holzhausen auf der Bühne gegen den Prototypen, woraufhin eine der vermeintlichen Panzerglasscheiben zersplitterte. Obwohl Medienprofi Musk etwas irritiert, aber lächelnd über die Panne hinwegmoderierte, war das Ergebnis verheerend. Die Tesla-Aktie verlor schlagartig 6 Prozent an Wert. Alleine die Anteile von Unternehmensboss Musk waren danach rund 640 Millionen Euro weniger wert.


    Klingt nach viel, ist aber wenig, verglichen mit dem Einschlag, den Tweets von Donald Trump auslösen können. Im August 2019 blies der US-Präsident auf einen Streich eine Handvoll negativer Kurznachrichten zum Notenbanktreffen in Jackson Hole und zum Handelskonflikt mit China in die Welt. Eine Viertelstunde später notierte der Dow Jones bereits 400 Punkte niedriger. Bis zum Börsenschluss brachen die Aktienmärkte weiter ein und vernichteten insgesamt 500 Milliarden US-Dollar an Börsenwert.
    Diese heftigen Abstürze beunruhigen Experten wie Seema Shah, Chefstrategin bei Principal Global Investors: "Das sind zwar kurzfristige Ausschläge, die einen langfristig orientierten Investor nicht kümmern sollten. Doch die Geschwindigkeit macht Sorgen, mit der Risiken plötzlich auf die Portfolios der Anleger durchschlagen können." Die Reaktionsgeschwindigkeit der Kapitalmärkte habe sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht, so die Analystin.
    Statistisch erscheinen die Aktienkurse jedoch nicht nervös. Momentan schwanken sie sogar besonders wenig, wie der nur knapp über seinem historischen Tiefststand liegende Volatilitätsindex Vix belegt. Vielmehr dürften nicht wenige Anleger mit dem Aktienjahr 2019 höchst zufrieden sein. Der deutsche Leitindex Dax etwa notiert knapp ein Viertel höher als noch zu Beginn des Jahres (Stand 22. November), dicht gefolgt vom Eurozonen-Aktienkorb Euro Stoxx 50 mit einem Plus von 23 Prozent.
    Auch die Börsenbarometer in New York legten eine rasante Rally hin. Der US-Aktienindex Dow Jones übersprang erstmals in seiner Geschichte die Marke von 28.000 Punkten. Mit ihm marschierten die Indizes S&P 500 und Nasdaq 100 ebenfalls auf neue Rekordstände.

    Obwohl der enorme Börsenaufschwung bereits Anfang 2009 kurz nach der Finanzkrise begann und lediglich einige zeitweilige Rückschläge hinnehmen musste, scheinen ihn selbst Hiobsbotschaften in rauen Mengen nicht stoppen zu können. Und die gab es 2019 reichlich: Allen voran lastete der Handelsstreit zwischen den USA und China auf den Konjunkturaussichten, ebenso wie der Kampf der beiden Länder um die weltweite Technologieführerschaft. Das nicht enden wollende Trauerspiel um den Brexit, die auf breiter Front erodierenden Unternehmensgewinne und der Ölpreisschock nach dem Angriff auf eine saudische Raffinerie taten ihr Übriges, die Anlegerstimmung zu dämpfen.

    Wie kommt es vor diesem ernüchternden Hintergrund zu den traumhaften Aktienrenditen? Börsenkenner Robert Halver schreibt die Rally hauptsächlich der ultralockeren Politik der Notenbanken zu. Er bezweifelt aber, dass es sich schlicht um haltlose Überbewertungen handelt, in deren Schlepptau bald eine dramatische Korrektur droht. "Die Geldpolitik ist der beste Freund der Aktie", so der Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Und daran werde sich vorerst auch nichts ändern. So hat etwa die Europäische Zentralbank (EZB) im November ihre Anleiheaufkäufe wieder aufgenommen, aktuell mit einem Volumen von monatlich 20 Milliarden Euro.


    "Wie jede andere Notenbank hat auch die EZB blanke Angst, dass die Anleiheblase als längste und größte Anlageblase der Welt platzt", sagt Halver. In Deutschland sind die Renditen von Staatspapieren wie auch die Leitzinsen mit wenigen Ausnahmen seit 1981 gefallen. Einen Richtungswechsel hält der Chefanalyst angesichts der dramatischen Folgen für ausgeschlossen: "Zinsexplosionen nach oben, die dann durch Notverkäufe internationaler Anleiheinvestoren brandbeschleunigende Wirkung entfalteten, machten die schuldenkranke Welt unbezahlbar, ließen die Aktienmärkte crashen und versetzten der Weltkonjunktur den finalen Todesstoß." Dieses Armageddon scheue jeder Notenbanker wie der Teufel das Weihwasser.

    Dass eine so starke Medikation nicht ohne Nebenwirkungen bleibt, geben inzwischen auch die Währungshüter der EZB selbst zu bedenken. So warnen sie in ihrem aktuellen Stabilitätsbericht vor den gefährlichen Folgen von Niedrigzinsen. Dabei halten sie selbst ihren Leitzins für die Eurozone bereits seit März 2016 auf der Nulllinie fest. Den Strafzins für Banken, die ihr Geld bei der EZB lagern wollen, haben die Zentralbanker sogar jüngst nochmals um 20 Prozent verschärft.
    Damit müssen die Institute nun schon 0,5 Prozent Gebühren berappen. Diese Kosten geben die Geldhäuser an ihre Kunden weiter, bislang aber in erster Linie an gewerbliche und wohlhabende. Doch eine Volksbank in Bayern hat im November als erste Negativzinsen für alle neuen Tagesgeldsparer eingeführt. Bis Banken dann Nutzer von Girokonten zur Kasse bitten, dürfte es wohl nur eine Frage der Zeit sein.

    Auch weite Teile des Rentenmarkts sind schon betroffen. Die Summe der Staatspapiere mit einer negativen Rendite ist auf weltweit mehr als 13 Billionen Euro gestiegen, wie die Deutsche Bank berechnet hat. Der Handelsplattform Tradeweb zufolge stellen bereits über 40 Prozent der europäischen Unternehmensanleihen mit solider Bewertung ein Verlustgeschäft für Anleger dar, Tendenz steigend. "Wir müssen uns alle an die niedrigen Zinsen gewöhnen. Sie sind kein Phänomen, das Anleger aussitzen können", erwartet Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank.


    In den nächsten drei Jahren werde in der Eurozone wohl keine Leitzinserhöhung erfolgen. "Für Anleger, die Euroanleihen kaufen und halten wollen, sind das schlechte Nachrichten", so Stephan. Besser seien die Aussichten für Anleihen etwa aus China: Wer Währungsrisiken toleriere, könne auf dem mittlerweile zweitgrößten Rentenmarkt der Welt mit Zinsen von bis zu 4 Prozent rechnen. Hinzu komme, dass mit steigenden US-Zinsen, die Schwellenländerwährungen unter Druck setzen könnten, für lang laufende Anleihen kaum zu rechnen sei.
    Die Niedrigzinsen unterstützten die Wirtschaft, begründet EZB-Vizepräsident Luis de Guindos das Vorgehen seiner Behörde, die daraus resultierende höhere Risikobereitschaft der Anleger könne aber die Finanzstabilität gefährden: "Die Nebenwirkungen der Geldpolitik werden immer offensichtlicher, das müssen wir berücksichtigen." Da institutionelle Investoren wie Investmentfonds, große Vermögensverwalter und Versicherer auch in der derzeitigen Zinswüste Geld für ihre Kunden verdienen müssten, könnten sie übermäßig hohe Risiken eingehen, befürchtet der Spanier.
    Bernhard Matthes, bei der Bank für Kirche und Caritas für das Portfoliomanagement zuständig, reicht den Schwarzen Peter empört zurück: "Es mutet wie Realsatire an. Mit ihrem Rausch des billigen Geldes hat die EZB überhaupt erst die Notwendigkeit geschaffen, dass Asset Manager Risiken in Kauf nehmen, die sie unter normalen Umständen meiden würden." Es sei vollkommen normal, dass Marktteilnehmer, denen der risikofreie Zins genommen wurde, nach Möglichkeiten Ausschau hielten, trotz des von der EZB geschaffenen Zinsnotstands Renditen zu erwirtschaften.

    Kaum rosiger sieht es der EZB zufolge bei Europas Banken aus. Deren Profitabilität sei niedrig und werde weiter sinken. Als Schuldigen nennt die EZB hausgemachte Ursachen wie eine mangelnde Kosteneffizienz, räumt aber ein, dass die Niedrigzinsen Banken hart treffen, die vom Zinsgeschäft leben. Bei drei Vierteln liegt die Eigenkapitalrendite bereits unter 8 Prozent.
    Zum Vergleich: Unter ihrem früheren Chef Josef Ackermann strebte die Deutsche Bank noch 25 Prozent an. Damit nicht genug, erwartet die EZB weitere Rückgänge in den kommenden zwei Jahren, schwächere Institute müssen demnach mit etwa 3 Prozent auskommen. Mit ihrer Einschätzung steht die Zentralbank nicht allein da, die Rating-Agentur Moody's hat ihren Ausblick für Deutschlands Geldhäuser im November auf negativ gesenkt.

    In anderen Branchen erscheint die Lage kaum besser. Deutschland schrammte im Herbst nur hauchdünn an einer Rezession vorbei. Und die Aussichten sind nicht gerade ungetrübt. Schließlich steht mit der Automobilbranche Deutschlands wichtigste Industrie vor einem gigantischen Strukturwandel Richtung Elektromobilität. Und der sollte auch noch möglichst rasch geschehen, wie die jüngsten Zahlen von Continental klar machen.


    Der einzige Automobilzulieferer im Dax musste im dritten Quartal 2019 einen Verlust von 2 Milliarden Euro verkraften. Auch 2020 rechnen die Hannoveraner nicht mit einer anziehenden Autokonjunktur. "Im besten Fall sehen wir weltweit eine Seitwärtsentwicklung", so Finanzvorstand Wolfgang Schäfer. Ein Rückgang sei keineswegs ausgeschlossen. Laut einer Studie des Ifo-Instituts steht allein in Bayern eine sechsstellige Zahl von Arbeitsplätzen bei Zulieferern und Herstellern auf der Kippe. Hinzu kommt, dass mit China der größte Kfz-Absatzmarkt ein paar Gänge zurückschaltet. Im Oktober lagen die Verkäufe 6 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat. In den ersten zehn Monaten verließen 2019 insgesamt 16,9 Millionen Autos die Verkaufsräume im Reich der Mitte, 11 Prozent weniger als im Jahr zuvor.
    Vor diesem Hintergrund wird auch der Medienrummel klar, den Elon Musk in Deutschland erzeugt. Als er im November in Berlin einen Preis für seine Tesla-Elektroautos entgegennimmt und anschließend noch eine kleine Botschaft an die versammelten Gäste und Medienvertreter richten will, muss er schmunzeln. Was kommt, ist eine Sensation: Tesla will seine nächste Riesenfabrik im beschaulichen Brandenburg bauen. In der sogenannten Gigafactory Europe sollen dem Selfmade-Milliardär zufolge 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Die meisten Lacher sammelt Musk ein, als er erwähnt, dass der Bauplatz gleich neben der Flughafen-Katastrophe BER liege. Sein Kommentar: "Wir sollten definitiv schneller fertig werden."


    Ein Angriff auf den Heimatmarkt eines internationalen Wettbewerbers ist ein Klassiker in mikroökonomischen Lehrbüchern. Früher hätten jedoch viele Musk angesichts der Stärke der deutschen Autobranche dafür belächelt. Nach seinem Berliner Auftritt indes finden sich Begriffe wie "Demütigung" in nicht wenigen Kommentaren, die den Schritt als weiteren Abgesang auf die deutsche Vorzeigeindustrie einschätzen.
    Tatsächlich dürfte die stark exportabhängige Wirtschaft hierzulande 2019 nur um 0,5 Prozent gewachsen sein, sagt Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank. "Vor allem die Rezession in der Industrie dämpft das Wachstum in Deutschland", so der Analyst. Von einer stabilen Konjunktur in den USA und China könne Deutschland 2020 daher überproportional profitieren: "Ich rechne hierzulande mit einem moderaten Wachstum von knapp einem Prozent", so Schneider. Für die Eurozone erwartet er ein etwas kleineres Plus von 0,8 Prozent, weil die stimulierende Wirkung der expansiven EZB-Geldpolitik nachlasse: "Als Konjunkturstabilisator stößt die Geldpolitik zunehmend an ihre Grenzen."

    Dennoch fällt Schneiders Ausblick auf den Aktienmarkt durchaus positiv aus. Den Dax sieht er Ende 2020 bei 14.000 Punkten, was einem Plus von mehr als 6 Prozent entspricht (Stand 22. November 2019). Nicht ganz so groß soll der Anstieg des Euro Stoxx 50 ausfallen, die Prognose liegt bei 3,4 Prozent. Diese optimistischen Zahlen sind nicht Konsens. Die Analysten der DZ Bank beispielsweise erwarten nahezu stagnierende Kurse. Während der Dax demzufolge lediglich um 0,3 Prozent auf 13.200 Punkte klettern soll, trauen die Experten dem Eurozonen-Aktienindex ein etwas stärkeres Wachstum von 1,5 Prozent zu.


    Und wohin können Börsenbären ihr Geld tragen, um es zu vermehren? Die Kryptowährung Bitcoin beispielsweise, vor zwei Jahren noch der letzte Schrei, hat im Herbst immerhin ein Lebenszeichen gegeben, ihre zweistelligen Gewinne nach schlechten Nachrichten aus der Krypto-Hochburg China aber schnell wieder abgegeben. Wer nicht in die schwer zu durchschauende Welt des kaum regulierten Computergelds eintauchen möchte, kann Gold in Betracht ziehen.
    Das einst als Krisenwährung bekannte Edelmetall schlug sich 2019 wacker, mit 23 Prozent Wertsteigerung auf Augenhöhe mit den Aktienmärkten. Gold hat außerdem einen neuen Vorteil: Lange hieß es von Kritikern, der Schmuckrohstoff bringe keine Zinsen. Abgesehen von dem Aufwand für das Aufbewahren kommen damit aber auch keine Strafzinsen hinzu. Und glaubt man den DZ-Bank-Analysten, wird das seltene Element bis Ende 2020 nochmals 9,1 Prozent mehr wert sein als heute. Die Deutschbanker sind gegenüber Gold zurückhaltender, sagen aber auch einen weiteren Preisanstieg von 6,4 Prozent voraus.
    Trotz der ungemütlichen Wirtschaftslage raten Experten wie Robert Halver jedoch davon ab, dem Aktienmarkt den Rücken zu kehren: "Selbstverständlich wird es auch künftig schwankende Kurse geben. Aber so lange sich das offensichtlich historische Gesetz wiederholt, dass Aktien jede Delle im Zeitablauf überkompensieren, ist mir auch künftig nicht bange." Wenn Anleger Widrigkeiten nicht ändern könnten, sollten sie sich mit diesen arrangieren, so Halver.
    Der Baader-Bank-Chefanalyst empfiehlt in der aktuellen Gemengelage regelmäßige Aktiensparpläne. Den viel beschworenen Durchschnittskosten-Effekt (Cost Average), durch den Sparpläne grundsätzlich profitabler sein sollen, gibt es zwar nicht, allerdings senken sie das Risiko, sollte es zu einem Börsen-Crash kommen. Und die Sorge, genau auf dem Höchststand zu kaufen, dürfte derzeit viele beschäftigen, vor allem angesichts einer schwächelnden Konjunktur.

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