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     243  0 Kommentare Rekordjagd in der Krise / Kommentar zur Verfassung der Finanzmärkte von Christopher Kalbhenn

    Frankfurt (ots) - Zu den überraschenden und außergewöhnlichen
    Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie an den Finanzmärkten zählen die
    Geschwindigkeit und das Ausmaß, mit denen sich die Aktienmärkte von den im März
    erreichten Crash-Tiefen erholt haben. Jedoch wird diese spektakuläre Erholung
    auf Gesamtmarktebene von der Hausse der großen Technologiewerte in den Schatten
    gestellt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass mehrere Titel aus der Riege der
    Tech-Dickschiffe wie etwa Amazon, Apple und Microsoft Rekordhöchststände
    erreichen. Selbst an Tagen, an denen die Aktienmärkte insgesamt schwächer
    tendieren, zieht der Sektor an, so zuletzt am Donnerstag, als der Dow 1,4%
    einbüßte und der Nasdaq Composite 0,5% zulegte.

    Wie sehr der Aufschwung der Aktienmärkte von einer kleinen Gruppe sehr großer
    Tech-Werte, der sogenannten FAANG-Gruppe (Facebook, Amazon, Apple, Netflix und
    die Google-Betreiberin Alphabet) und einer kleinen Auswahl weiterer Titel des
    Sektors getragen wird, zeigt deren beeindruckende Outperformance. Der Nyse FANG+
    Index, der neben den FAANG die chinesischen Tech-Riesen Alibaba und Baidu sowie
    Nvidia, Tesla und Twitter enthält, hat seit dem Jahresbeginn sagenhafte 50,6%
    gewonnen, während der S&P mit einem Minus von 2,2% auf der Stelle tritt. Sogar
    dem Tech-Auswahlindex Nasdaq (23%) sind FAANG & Co. meilenweit enteilt.

    Nicht nur hat Tesla, seit Jahresbeginn mit 237% im Plus, Toyota als Nummer 1 der
    Automobilbranche nach Börsenbewertung überholt, auch innerhalb des Tech-Sektors
    gab es in der abgelaufenen Woche eine Entthronung. Nvidia ist an der Börse mit
    259 Mrd. Dollar nun mehr wert als die Nummer 1 der Chip-Branche Intel, deren
    Marktkapitalisierung bei 250 Mrd. Dollar liegt.

    Historisch gesehen ist es nicht ungewöhnlich, dass die Aktienmärkte wie zuletzt
    Mitte März im Umfeld der schlimmsten Phase einer Krise den Boden ausbilden und
    einen Bullenmarkt starten. Ungewöhnlich ist jedoch, wenn Rekordhöhen erreicht
    werden, während die Krise noch anhält. Es ist derzeit völlig unklar, wann die
    Pandemie überwunden wird, und es besteht das Risiko einer heftigen zweiten Welle
    ab dem Herbst und weiterer Lockdowns. In den USA ist die Lage derzeit außer
    Kontrolle, die täglichen Neuinfektionen eilen von Rekord zu Rekord. In
    Australien ist der Bundesstaat Victoria mit der Millionenmetropole Melbourne in
    der abgelaufenen Woche wegen zunehmender Infektionen unter Quarantäne gestellt
    worden, die Grenze zum benachbarten Bundesstaat New South Wales, in dem Sydney
    liegt, wurde abgeriegelt - erstmals seit der Spanischen Grippe.

    Doch was treibt die Investoren, FANG+-Aktien zu kaufen, als gäbe es kein Morgen
    mehr? Abgesehen von der Tatsache, dass die massiven geld- und fiskalpolitischen
    Impulse derzeit alle Risiko-Assets treiben, die bei drei nicht auf den Bäumen
    sind, ist der Höhenflug gerade dieser Aktiengruppe bis zu einem gewissen Grad
    fundamental begründbar. Schon 2019 stand die Gruppe in einem Umfeld allgemein
    sinkender Wirtschafts- und Gewinnwachstumsraten aufgrund ihrer stark steigenden
    Erlöse und Gewinne und überdurchschnittlichen Wachstumsaussichten bei Anlegern
    hoch im Kurs. Die Coronakrise wirkt in dieser Hinsicht als Verstärker, denn
    während in den meisten Branchen das Geschäft eingebrochen ist, profitieren
    Unternehmen wie etwa der Online-Handelsriese Amazon, dessen Aktie seit
    Jahresbeginn mehr als 70% gewonnen hat, mit stark steigenden Erlösen und
    Marktanteilsgewinnen. Insofern ist auch ein Vergleich mit der Dotcom-Blase, als
    die Geschäftsmodelle vieler innovativer Tech-Unternehmen (noch) nicht
    funktionierten, unangebracht.

    Dennoch ist der Höhenflug der FANG+-Aktien eine eher ungesunde Entwicklung. Denn
    es handelt sich um einen sogenannten Crowded Trade in extremer Ausprägung. Immer
    mehr Anleger drängen in diese Aktiengruppe, die Hausse hat längst einen sich
    selbst verstärkenden Charakter. Die Bewertungen haben anspruchsvolle Niveaus
    erreicht, was ebenfalls auf Rückschlagrisiken hindeutet. Laut Bloomberg liegt
    das 2020er KGV des Nyse FANG+ Index bei 43. Was aber nicht zwangsweise ein in
    naher Zukunft bevorstehendes Ende der Tech-Hausse bedeutet. In der Vergangenheit
    haben Haussen regelmäßig noch lange angehalten, nachdem bereits sehr hohe
    Bewertungsniveaus erreicht waren, und der geldpolitisch induzierte Mangel an
    Anlagealternativen zu Dividendentiteln wird noch lange Bestand haben.

    (Börsen-Zeitung, 11.07.2020)

    Pressekontakt:

    Börsen-Zeitung
    Redaktion

    Telefon: 069--2732-0
    www.boersen-zeitung.de

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    OTS: Börsen-Zeitung



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