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    SmartInvestor Editorial Mai 21  382  0 Kommentare The Great Reset

    Die Gestaltung der Welt von oben – Corona, Klima und das World Economic Forum

    Zwillingsgipfel 2021

    In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Thema „The Great Reset“, das der eine oder andere vielleicht noch immer für eine Art Verschwörungstheorie hält. In unserer ­Rubrik „Zu guter Letzt“ (Ausgabe 12/2020) hatten wir uns der Thematik schon ­einmal augenzwinkernd genähert, doch diesmal wird es ernst. Tatsächlich hat sich das World Economic Forum (WEF) nämlich selbst das Thema auf die Fahnen für das ­Jahrestreffen geschrieben, das 2021 als Zwillingsgipfel stattfindet. Der erste, coronabedingt rein virtuelle Teil fand bereits vom 25.1. bis zum 29.1. unter der Überschrift „The Davos Agenda 2021“ statt. Das eigentliche ­Treffen wird dieses Jahr erstmalig nicht in Davos, sondern in Singapur stattfinden, wobei der Termin inzwischen auf die Zeit vom 17.8. bis zum 20.8. verschoben wurde. Zudem ist mit „COVID-19: Der große Umbruch“ im ­Juli 2020 ein Buch zum Thema erschienen, das der Gründer und Vorstandsvorsitzende des WEF, Prof. Dr. Klaus Schwab, zusammen mit Thierry Malleret geschrieben hat. „The Great Reset“ ist also ein reales Anliegen einer der einflussreichsten NGOs der Welt.

    Selbst- und sendungsbewusst

    Bevor wir uns mit dem eigentlichen ­­Projekt befassen, dürfen wir ein paar Worte zum WEF verlieren. Das WEF wurde im Jahr 1971 von Schwab als gemeinnützige Stiftung unter dem Titel „European Management Forum“ gegründet, war also eine ­private Veranstaltung, die ihre Wurzeln klar in der Unternehmenswelt hat. Im Jahr 2015 erlangte man dann über eine sogenannte Gastlandvereinbarung („Host ­State Agreement“) mit der Schweiz den Status einer „International Institution for Public-­Private Cooperation“. Seitdem vergleicht man sich nicht nur selbstbewusst mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und den Vereinten Nationen, denen die gleichen Privilegien verliehen wurden. In der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen mit dem Untertitel „A Partner in Shaping History“ („Ein Partner bei der Gestaltung der Geschichte“) bescheinigt man sich noch für dasselbe Jahr, die führende ­Institution für öffentlich-private Kooperation zu sein. An Selbst- und Sendungsbewusstsein fehlt es dem WEF also nicht.

    Nur ein Stuhlkreis der Mächtigen?

    Dieses Selbst- und Sendungsbewusstsein zeigt sich auch im Mission Statement der Organisation: „The Forum engages the fore­most political, business, cultural and other leaders of society to shape global, regional and industry agendas.“ („Das Forum bringt die führenden Persönlichkeiten aus ­Politik, Wirtschaft, Kultur und anderen Bereichen der Gesellschaft zusammen, um globale, regionale und industrielle Agenden zu gestalten.“) Wikipedia schwächt diese Eigenauskunft des WEF wie folgt ab: „Hierbei kommen international führende Wirt­schafts­­experten, Politiker, ­Wissenschaftler, gesell­schaftliche Akteure und ­Journalisten zusammen, um über aktuelle globale Fragen zu diskutieren.“ Nicht nur, dass hier der Eindruck erweckt wird, es handle sich um einen bloßen Stuhlkreis der Einflussreichen – es wird auch die gewich­tige Rolle der Milliardäre und Tech­oligarchen irgend­wo zwischen „Wirtschaftsexperten“ und „gesellschaftlichen Akteuren“ verschleiert. Auch eine weitere Eigenauskunft des WEF wird ignoriert: „Our Partners engage in Forum Platforms to shape the future …“ Ziel des Forums ist es also nicht, Fragen zu diskutieren, son­dern die Zukunft zu gestalten.

    Wes Brot ich ess?

    Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die Finanzierungsquellen des Forums. Neben einer teilweisen Kostenübernahme der Schweiz für die Sicherheits­maßnahmen bei den Jahrestreffen ­bestehen die wesentlichen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen. Bei diesen Mitgliedern, auch als Partner bezeichnet, handelt es sich um die „führenden globalen Unternehmen“ („leading global companies“). Entsprechend liest sich das Verzeichnis der rund 730 Partner wie das „Who’s who“ der inter­nationalen Großunternehmen. Auch lässt das WEF keine Zweifel über die Rolle ­dieser Partner aufkommen: „They are the driving force behind the Forum’s programmes.“ („Sie sind die treibende Kraft ­hinter den Programmen des Forums.“) Noch ­einmal besonders herausgehoben – und zwar durch deutlich höhere finanzielle Beiträge – sind die rund 120 sogenannten strategischen Part­ner; sie bezahlen laut Wikipedia „jeweils 250.000 CHF und 500.000 CHF, um maßgeblich an den Initiativen des Forums mitzuwirken“. Eine noch höhere Form der Mitgliedschaft („Strategic Foundation Part­nership“) haben aktuell ganze drei Organisationen: Die Bill & Melinda Gates Foun­dation, die Novo Nordisk Foundation und der britische Wellcome Trust. Von den Partnern stammten im Wirtschaftsjahr 2019/20 immerhin 71,4% der Gesamteinnahmen des verzweigten Forum-Geflechts in Höhe von 367 Mio. CHF. Die Verknüpfung von Zahlungen an das Forum mit Einflussmöglichkeiten auf dessen Initiati­ven sieht für uns nicht nach dem von Schwab propagierten „Stakeholder-Kapitalis­mus“ (siehe unten), sondern nach potenziellen Interessenkonflikten aus.

    Erlauchter Kreis

    Unbestritten ist die inzwischen enorme Anziehungskraft des Jahrestreffens auf die Einflussreichen dieser Welt. Unter den rund 2.000 Teilnehmern des vergangenen Jahres waren laut einem Bericht von Business Insider nicht weniger als 119 Milliardäre und 53 Staatschefs sowie die unvermeidliche Greta Thunberg. Jamie Dimon, CEO und Chairman von JPMorgan Chase & Co. – selbst Milliardär und langjähriger Teilnehmer –, spottete noch 2019: „Davos is where billionaires tell millionaires about what the ­middle class feels.“ („Davos ist der Ort, an dem Milliardäre den Millionären erzählen, was die Mittelschicht fühlt.“) Diese Aussage ist allerdings insofern unscharf, als sich die Anwesenden keineswegs mehr damit begnügen, der Mittelschicht – und auch den Schichten darunter – zu erzählen, was sie fühlen: Im Rahmen der Great-Reset-Bestrebungen ist man längst dazu übergegangen, ­korrektes Verhalten zu empfehlen bzw. einzufordern.

    Unklare Motivlage

    Betrachtet man den Wahlspruch des WEF – „Committed to impro­ving the state of the world“ („Der Verbesserung des Zustands der Welt verpflichtet“) –, dann sollte eigentlich klar sein, was die Part­ner zur Teilnahme bewegt. Eigentlich – denn die Hochkaräter und Global Player, die hier mitmachen, könnten auch jeder für sich etwas in ihren ureigensten Tätigkeitsfeldern bewirken, um die Welt besser zu machen. Für ein faires Verhalten gegenüber ihren „Stakeholdern“ benötigen sie das WEF nicht. Was allerdings auch die Größten kaum im Alleingang erreichen, ist das Setzen von Standards, von rechtlichen Rahmenbedingungen oder das systemische Ausschalten von Konkurrenz, nicht einzelner Konkurrenten. Hier soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass sich viele Teilnehmer aus tiefster Überzeugung für eine bessere Welt engagieren – aber schon die Nähe gewählter Politiker zu den WEF-Netzwerken der Großkonzerne könnte und sollte die Wähler irritieren.

    Fein gesponnenes Netzwerk

    Sicher wussten Sie, dass die Bundeskanzlerin, ebenso wie etliche andere deutsche Spitzenpolitiker, regelmäßig Gäste auf den Jahres­treffen in Davos sind. Aber wussten Sie auch, dass sowohl Bundes­minister Jens Spahn als auch Annalena Baerbock, Grünen-Co-Chefin und Kanzlerkandidatin ihrer Partei, Mitglieder bzw. Alumni des Forum of Young Global Leaders sind, einer Art Kader­schmiede des WEF, die Schwab 2004 aus der Taufe hob und der inzwischen mehr als 1.500 Führungspersonen weltweit ­angehören? Die Vision dieser Gruppierung besteht darin, „durch die Bündelung ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Netzwerke gemeinsam mehr erreichen“ zu können. Dabei werden ­Wege identifiziert und gefördert, „um ihren Einfluss zu vergrößern, zu verstärken und zu beschleuni­gen“. Das klingt nach Infiltration bestehen­der Strukturen – natürlich nur, um „eine Kraft für das Gute [zu] sein“, wer auch ­immer das gerade definiert. Eine weitere bemerkens­werte Untergruppierung ist die „Global Changers Group“, die im Jahr 2011 gegrün­det wurde und sich explizit an junge Menschen unter 30 wendet. Sie versteht sich als Graswurzel-­Netzwerk, das Wirkung („Impact“) erzielen will – ein „Graswurzel“-Netzwerk, das von einem Stiftungsrat gelei­tet wird, dem neben Schwab u.a. ein Mitbegründer der einflussreichen Carlyle Group, ein Vizepräsident der Riyad Bank und der geschäftsführende Direktor von Sino Biopharmaceutical angehören. Es scheint, als müssten wir unsere Vorstellung über Graswurzeln revidieren.

    Lob der „großen“ Regierung

    Wenn es nach den Great-Reset-Vorstellungen des WEF geht, sollen wir zudem auch manch andere Vorstellung von unserer Welt revidieren. Keine Frage, das Buch von Schwab und Malleret polarisiert. Dabei klingen einige der vorgebrachten Analysen durchaus spannend und plausibel, anderes geradezu banal. Wer wollte beispielsweise allen Ernstes bestreiten, dass wir in einer Welt leben, die von Interdependenz, Geschwindigkeit und Komplexität geprägt ist?! Wie man allerdings aus einer solchen Bestandsaufnahme zu dem Schluss gelangen kann, dass die Zukunft wieder der „großen Regierung“ gehöre, während gleichzeitig einem „grundlegenden Überdenken der Rolle der Märkte“ das Wort ge­­redet wird, bleibt das Geheimnis der Auto­ren: Denn die Antwort, warum ­diese große Regierung bei der Handhabung von Interdependenz, Geschwindigkeit und Kom­plexität der spontanen Ordnung des Markts überlegen sein soll oder wann sie dies jemals war, bleiben sie konsequent schuldig.

    Prognose, Notwendigkeit oder Empfehlung?

    Das ganze Werk krankt daran, dass nie ganz klar wird, was Prognose, was aus dem Istzustand abgeleitete Notwendigkeit, was Handlungsempfehlung und was bloßes Werturteil der Autoren über eine aus ihrer Sicht wünschenswerte Zukunft ist. Sie erwarten – oder fordern –, dass das „Neue Normal“ eine resilientere, grünere und inklu­sivere Welt sein soll bzw. wird. ­Dabei verbinden sie die aktuelle Pandemie mit der Klimakrise und der wirtschaftlichen Ungleichheit in der Welt, wobei zumindest die beiden Letztgenannten irgendwie Ausflüsse des alten Normals sein sollen. Über das genaue Zusammenspiel ­erfahren wir im Rahmen dieses Werks jedoch wenig. Das gilt auch für das Zusammenspiel zwischen „Vierter Industrieller ­Revolution“, „Shareholder-Kapitalismus“ und „Great Reset“, also die drei wesentlichen Themen, zu denen Schwab zuletzt publiziert hat.

    Krise als Chance

    Auch wenn die Autoren das durch die Pandemie verursachte menschliche Leid beklagen – nicht allerdings, ohne die Politik der Lockdowns als sachgerecht und quasi alternativlos zu adeln –, schaffen sie es, sich schon eine Seite später mit erschreckender Empathielosigkeit an das „Potenzial einer transformativen Krise von bisher unvorstell­baren Dimensionen“ heranzutasten. Das bekannte Motto dahinter: Lasse niemals eine gute Krise ungenutzt verstreichen. In diesem Zusammenhang sei der Bestseller „Chronik einer angekündigten Krise: Wie ein Virus die Welt verändern konnte“ von Paul Schreyer empfohlen, der minutiös nach­zeichnet, mit welcher erschreckenden Präzision die Pandemie bereits im Vorfeld durch­gespielt wurde und zur Umgestaltung der Welt ausgenutzt wird.

    Materieller Niedergang als Vision

    Natürlich fordern das Werk und die Idee vom Great Reset massive Kritik heraus, was man wohl am deutlichsten außerhalb der WEF-Netzwerke wahrnehmen kann – denn anders als frühere soziale bzw. sozia­listische Utopien verheißen die Autoren kein Mehr an materiellem Wohlstand, sondern Verzicht, Entbehrung und Einschränkung. Das sind „Versprechen“, die man wohl auch erfüllen kann, hatte zentrale ­Steuerung diese Effekte doch bereits zu ­einer Zeit, als sie noch nicht zum Schutz von Klima und Gesundheit implementiert werden sollte.

    Überwältigend negativ

    Insofern hat sich das WEF mit seinen ­kleinen Werbefilmen zum Great Reset nicht unbedingt einen Gefallen getan. Der Versuch, sich einem breiteren Publikum als kompetenter Lösungsanbieter in der ­Krise zu präsentieren und eine attraktive Vision für die Welt zu entwerfen, ging ­jedenfalls gründlich schief. Entsprechend lösten die beiden meistgesehenen ­Videos zum Thema auf dem YouTube-­Kanal des WEF mit immerhin mehr als 600.000 Abonnenten ein überwältigend negatives Feedback aus – auf ein Like kommen sechs bzw. zehn Dislikes. Die Kommentare müssen für die Macher sogar noch ernüchternder sein. Mehr als 12.000 Likes erhielt beispielsweise ein eher unpolitischer ­Kommentator für die Feststellung „I don‘t remember voting for these people to become god.“ („Ich kann mich nicht daran erinnern, dafür gestimmt zu haben, dass diese Leute Gott spielen.“), womit der ­Autor die fehlende Legitimierung des WEF für eine Umgestal­tung der Welt im Geiste des Great Reset ebenso pointiert wie zutreffend ausgedrückt hat. Auch löste der nunmehr berühmte F-Kurzfilm „8 Predictions for the World in 2030“ derart negative Reaktio­nen des ­Netzes aus, dass er wieder entfernt wurde. Besonders die erste Pro­gnose – „You’ll own no­thing. And you’ll be happy“ – sorgte für Gegenwind. Dies wurde offenbar nicht als Sorge des WEF um die Welt oder die Menschen wahrgenommen, sondern als Bestreben der dort reichlich vertretenen Software­giganten, das hochprofitable Geschäftsmodell „Software as a Service“ künftig auf „Life as a Ser­vice“ auszuweiten.

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