Interview der Woche
Hellmeyer zur deutschen Wirtschaft: Man muss den Leuten reinen Wein einschenken
Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG, macht zum Start ins neue Jahr im Interview mit wallstreetONLINE eine Bestandsaufnahme der Weltwirtschaft und geht mit Deutschland hart ins Gericht.
- Weltwirtschaft läuft, aber nicht homogen
- Deutschland hat strukturelle Probleme
- Regierung löst Probleme nicht, nur temporäre Lösungen
Martin Kerscher: Herr Hellmeyer, bevor wir über das Gute reden wollen vielleicht doch erst einmal einen Blick auf den gegenwärtigen Ist-Zustand. Die aktuellen Wirtschaftsdaten. sind freundlich formuliert, nicht so besonders positiv.
Folker Hellmeyer: Ich sage ja und nein. Wenn wir auf die Welt schauen, da bin ich und bleibe ich auch optimistisch. Die Weltwirtschaft läuft, aber es läuft eben nicht homogen. Das Sorgenkind bleibt Europa. Das Sorgenkind bleibt einfach auch Deutschland. Das sind die Kernaussagen.
Wir haben heute den ifo-Index bekommen zum Einzelhandel. Wir sind auf dem tiefsten Niveau, wie Anfang des Jahres seit 2023. Wir haben heute die Steuerzahlen bekommen für den Monat November. Zwar positiv, ja, mit plus 0,1 Prozent im Jahresvergleich. Fürs Gesamtjahr die ersten 11 Monate plus 2,1 Prozent.
Aber entscheidend ist hier nicht die nominale Größe, sondern die reale Größe. Wir haben sechs Prozent Preisinflation, wir haben voraussichtlich ein Steuerwachstum von 2,1 Prozent. Das heißt
kaufkraftbereinigt Minus 3,9 Prozent. Von daher gilt: Vorsicht für das neue Jahr! Wenn die Konjunktur nicht laufen sollte, dann wird sich die fiskalische Situation in meinen Augen stärker
eintrüben, als es jetzt antizipiert ist.
Martin Kerscher: Also für die Weltwirtschaft insgesamt sind Sie relativ optimistisch, so richtig. Pessimistisch gestimmt sind Sie vor allen Dingen, also weniger unbedingt für
Europa, aber vor allen Dingen für Deutschland.
Folker Hellmeyer: In der Tat, denn wir machen einen Fehler: Die anderen Länder Europas haben sich nach der Eurodefizitkrise 2010-2012 reformiert, sie haben sich in ihrem
ökonomischen, gesellschaftlichen Körper ertüchtigt. Und was haben wir gemacht? Nichts. Und das fällt uns heute auf die Füße.
Darüber hinaus noch spezifische Probleme, die wir haben. Und ich sehe bei dieser Regierung nicht die Bereitschaft, die strukturellen Probleme, die wir haben, anzugehen. Jeder redet darüber: Seit 30 Jahren über Bildungspolitik, seit 20 Jahren über Infrastruktur, seit 15 Jahren über IT. Und was passiert? Ich gebe Ihnen 3 Möglichkeiten: Nichts, gar nichts und überhaupt nichts.
Martin Kerscher: Herr Hellmeyer, wenn sie sozusagen von dieser Regierung reden und gleichzeitig von in den letzten 30 Jahren, dann kann es ja nicht nur diese Regierung sein,
sondern es ist die Regierung der letzten 30 Jahre. Richtig?
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Folker Hellmeyer: Absolut. Also eigentlich sind es maßgeblich die letzten 18 Jahre. Unter Gerhard Schröder gab es die Tüchtigung. Aber der entscheidende Punkt ist, wir gehen nicht an die Themen ran.
Wir versuchen innerhalb des Haushalts das eine Defizit temporär kosmetisch zu kitten, ohne das grundsätzliche Problem anzugehen: Schminken hilft für einen Abend, aber nicht fürs Leben. Deswegen gibt es auch die Unzufriedenheit mit der Regierung. Denn jeder erkennt was hier gemacht wird: Das Zukitten und nicht das Lösen des ursächlichen Problems.
Wir müssen zur Leistungsgesellschaft. Zu Erfolg kann man sich nicht schälen, Unwissen ist Ohnmacht, Wissen ist Macht. Wir müssen raus aus der Anspruchsgesellschaft: Ertüchtigung der
Leistungsgesellschaft, wir brauchen bessere Rahmendaten - das heißt ein Steuersystem, das konkurrenzfähig ist. Ein Bürokratiesystem, das konkurrenzfähig ist. Eine Infrastruktur, die international
konkurrenzfähig ist. Eine IT Infrastruktur, die zukunftsfähig ist und nicht ein Narrativ aus der Vergangenheit.
Jetzt das vollständige Interview auf unserem YouTube-Kanal ansehen!
Moderation: Martin Kerscher, Text: Julian Schick, wallstreetONLINE Zentralredaktion
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