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     1418  0 Kommentare Das scheue Reh des Kapitals


    Was nützt und was schadet einem Finanzplatz?

    Was ist eigentlich nützlich und was schädlich für einen Finanzplatz, also für den Weideplatz des scheuen Rehs des Kapitals? Schauen wir einmal auf die Ereignisse der letzten Woche:

    In Mecklenburg-Vorpommern zieht die NPD in den Landtag ein und in Thailand putscht das Militär. Ist das nun gut oder schlecht für das scheue Reh des Kapitals? In der ersten Runde ist es eher schlecht, weil es Unruhe bringt, und das scheue Reh des Kapitals kann nichts weniger vertragen als Unruhe. Doch wenn das scheue Reh des Kapitals erst einmal merkt, dass langfristig Ruhe und Ordnung einkehren, dann wird es ganz sicher bleiben und sich am fetten Grase des Finanzplatzes weiden.

    In Großbritannien haben zwei große Versicherungsunternehmen angekündigt, ihre Firmensitze von London auf die Bermuda-Inseln zu verlegen, weil sie dort keine Steuern mehr zahlen müssen. Das ist natürlich eine Super-Nachricht für den Finanzplatz London, denn derart können die Unternehmen (über den abdiskontierten Wert ihrer zukünftigen Nettoerträge) ihren Unternehmenswert um 20 Prozent steigern, so die Berechnungen. Das scheue Reh des Kapitals macht Freudensprünge, denn dass so etwas den Boden einer Gesellschaft erodiert, interessiert das scheue Reh des Kapitals doch nicht. Oder hat schon einmal jemand ein Reh sich über die Bodenerosion Gedanken machen sehen?

    Was gäbe es denn sonst noch für Nachrichten mit Auswirkungen auf den Finanzplatz? Wie wird das scheue Reh des Kapitals auf die Bevölkerung des Landes reagieren, die dem jeweiligen Finanzplatz unterworfen ist? Eine alternde Bevölkerung ist das Schlechteste, was es gibt für das scheue Reh des Kapitals. Denn dann gibt es nicht mehr genug zum Grasen. Die Wiesen sind übervölkert mit greisen anderen Tieren. Am besten wäre, vorher käme der Jäger. Erst der Jäger – und dann ein Reservat für das scheue Reh des Kapitals. Das wäre ein richtiger Hammer für die Finanzplätze London, Frankfurt und ganz besonders für Tokio. Aber wahrscheinlich brauchen wir so etwas ja gar nicht. Das steuerliche Offshoring des Unternehmenssektors ist ja bereits ein erfolgreiches Euthanasieprogramm für gesamte Volkswirtschaften und Gesellschaften.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Das scheue Reh des Kapitals Was nützt und was schadet einem Finanzplatz? Was ist eigentlich nützlich und was schädlich für einen Finanzplatz, also für den Weideplatz des scheuen Rehs des Kapitals? Schauen wir einmal auf die Ereignisse der letzten Woche: In …