Smart Investor Weekly 4/2013
Deutschland, Land der "Sexisten"
Brüderles „Dirndl-Gate“
Einen regelrechten – man nennt das heute wohl so – „Shitstorm“ löste ein Abend an einer Hotelbar im Januar 2012(!) aus. Beteiligt waren der, dem
Vernehmen nach bereits angeheiterte, heutige FDP-Bundestagswahl-Spitzenkandidat Rainer Brüderle und eine Journalistin des bekanntermaßen prüden, katholischen Kreisboten „Stern“. Es soll zu
Anzüglichkeiten hinsichtlich der Kleidsamkeit bayerischer Tracht gekommen sein. Das aktuelle (2013!) Kesseltreiben auf twitter.com („#aufschrei“) und die mediale Zweit-, Dritt- und Viertverwertung
des „Vorfalls“ sagen wenig über einen angeblich „allgegenwärtigen Sexismus“ im Lande aus, viel dafür aber über Scheinheiligkeit und die Methoden der Skandalisierung. Als schließlich auch noch
Ursula von der Leyen mit ihrem untrüglichen Instinkt für eine laufende Fernsehkamera beherzt hinter dem Zug her hechtete, war klar: Der „Sexismus“-Gaul ist eigentlich bereits totgeritten. Selbst
FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin tauchte unverdient aus der medialen Versenkung auf und konnte Erhellendes zum Thema beitragen: „Ich möchte mich gegen männliche Sprüche einfach nicht mehr wehren
müssen." Damit meinte die ehedem Promovierte wohl Anzüglichkeiten wie: "Hallo, Frau Doktor!"
Sind wir nicht alle ein bisschen Brüderle?
Am Tag Sieben des mühsam am Köcheln gehaltenen „Skandals“ berichtete bild.de sogar „live“ vom heutigen FDP-Pressefrühstück, an dem neben Brüderle auch die „Stern“-Journalistin teilnahm. Zur
Einstimmung gab es für die Leser einen Selbsttest: „Bin ich ein(e) Brüderle?“ Offensichtlich befindet sich die Redaktion bereits in Faschingslaune. Eine Woche Dauerfeuer machten sich dennoch auf
erstaunliche Weise bemerkbar: Satte 79% der befragten bild.de-Leser meinten, dass sich Brüderle nicht(!) entschuldigen müsse – ein neuer Glaubwürdigkeitstiefpunkt für den neudeutschen
Kampagnenjournalismus.
Andere Autoren nehmen sich noch ernst – geradezu notorisch. Jakob Augstein etwa, der aufgrund der Hotelbar-Episode flugs „Die Krise des weißen Mannes“ herbeiwünschte und damit deutlich machte,
worum es eigentlich ging – um die gezielte „Verunsicherung des weißen Mannes“. Kein Klischee war in der laufenden Kampagne zu albern, um es nicht gegenüber älteren männlichen Bleichgesichtern zu
instrumentalisieren. Das ist zwar auch diskriminierend, wird aber in dieser Richtung selbstredend nicht so genannt. In all der Scheinheiligkeit war die abgeklärte Position der
baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) geradezu ein Lichtblick. Sie wies darauf hin, dass bestimmte Frauen sich absichtlich Situationen aussetzten, in denen ihnen Anmache
von mächtigen Männern drohe. Weil das aber nicht so gut in das Weltbild der Feministen allerlei Geschlechts passt, wird darüber geflissentlich geschwiegen.