Barry Eichengreen gesteht
Grexit doch möglich - "Ich habe das Ausmaß der politischen Inkompetenz unterschätzt"
Barry Eichengreen, Professor an der University of California, beginnt seinen Gastbeitrag auf der Meinungsplattform „The Conversation“ mit einem Bekenntnis: Ja, er habe einen Fehler gemacht.
Vor einigen Jahren kam der Ökonom in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die Kosten eines Austritts aus der Euro-Zone zu hoch wären und es deshalb nie dazu kommen würde. „Die Wahrscheinlichkeit eines Grexits oder irgendeines Otherexits, behauptete ich felsenfest, sei verschwindend gering.“ Eine klare Fehleinschätzung, sagt Eichengreen heute. Denn: „Ich habe das Ausmaß der politischen Inkompetenz unterschätzt.“
Aus rein ökonomischer Sicht sei seine Analyse noch immer richtig, so der Ökonom. Die Kosten eines Austritts wären weiterhin viel höher als der Nutzen. Zur einsetzenden Kapitalflucht käme im Fall Griechenlands die Tatsache, dass eine Abwertung der eigenen Währung die Lage verschlimmern würde.
Eichengreen widerspricht Sinn
Führende deutsche Ökonomen, allen voran ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, betonen immer wieder, ein Grexit und die damit verbundene Einführung einer Parallelwährung würde das Land wieder wettbewerbsfähig machen. Eine Abwertung der eigenen Währung mache den Weg frei für einen Wirtschaftsboom, prophezeit Sinn (siehe: Sinn fordert den Weekend-Grexit – Zurück zur Drachme in nur einem Wochenende).
Eichengreen bezweifelt jedoch, dass sich diese Prophezeiung je erfüllt wird, da der wichtigste Export des Landes, nämlich raffiniertes Petroleum, in US-Dollar berechnet wird. Darüber hinaus sei das Petroleum abhängig vom Ölimport, der ebenfalls in US-Dollar bezahlt werden muss. „So viel zum Thema Vorteile einer abgewerteten Währung“, konstatiert der US-Ökonom, der demnach weiterhin am wirtschaftsbasierten Teil seiner Analyse festhält.
Trotzdem revidiert er sein Urteil, weil ihm die inkompetente Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Doch wenn Eichengreen von Inkompetenz spricht, meint er damit nicht nur die griechische Regierung um Ministerpräsident Alexis Tsipras, sondern „erst recht“ die Geldgeber.
Lesen Sie auch
Inkompetenz der Geldgeber stelle alles andere in den Schatten
Einerseits kritisiert der US-Ökonom das Verhalten von Syriza, indem er sagt: Entweder hätte sie das Angebot der Gläubiger sofort „klar und deutlich“ abbrechen oder, falls nicht, entschieden weiter verhandeln müssen. Stattdessen jetzt überraschend ein Referendum anzukündigen, sei jedoch ein „offensichtlicher Versuch sich aus der Verantwortung zu stehlen“. Es sei das Handeln einer Regierung, die mehr daran interessiert ist, sich im Amt zu halten, als die Kosten der Krise für das Land zu minimieren.
„Dennoch, diese Inkompetenz verblasst im Vergleich zu der der EU-Kommission, der EZB und des IWFs“, schreibt Eichengreen weiter. Die drei Institutionen hätten 2010 einen Schuldenschnitt abgelehnt, obwohl die Kosten zu diesem Zeitpunkt gering gewesen wären. Im Gegenzug hätten sie so getan, als ob Griechenland seine Schulden zurückzahlen könnte und eiserne Sparmaßnahmen sowie Steuererhöhungen gefordert. Das, so der US-Ökonom, habe wohl kaum zur ihrer Glaubwürdigkeit beigetragen. „Sie haben die Tatsache ignoriert, dass sie damit das Land in eine noch tiefere Depression stürzen. Indem sie ihre eigenen Bilanzen privilegierten, bekamen sie die griechische Regierung und das Resultat, das sie verdienen.“ Mit anderen Worten: Die Institutionen haben die Geister, die ihnen nun den Schlaf rauben, selbst gerufen.
Und die Moral von der Geschicht‘? Für Eichengreen ist die Schlussfolgerung klar: „Unterschätze niemals die Fähigkeit eines Politikers, das Falsche zu tun.“