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    Dr. Gertrud Traud im Interview  11059  19 Kommentare Türkei-Krise? "Für sehr spekulativ orientierte Investoren birgt das Land Chancen"

    Die Türkei hat in dieser Woche mit den Angriffen auf Syrien begonnen. Im Vorfeld drohte Donald Trump mit der wirtschaftlichen Vernichtung der Türkei. In vielen Bereichen ist die Situation derzeit eher unübersichtlich. Die wallstreet:online-Redaktion hat Dr. Gertrud Traud von der Helaba um ein Interview gebeten, um die Situation der Wirtschaft und Devisenmärkte sowie Finanzmärkte einzuordnen.

    Sehr verehrte Frau Dr. Traud, oftmals werden Trump-Tweets als Auslöser für einen Kursrutsch der Lira nach unten bewertet. Ist da was dran?

    Gertrud Traud: In der Tat gaben türkische Aktien und die Lira nach. Die Tweets von US-Präsident Trump hatten in der Vergangenheit die Lira z. T. massiv belastet. Insbesondere im August 2018 verlor die türkische Währung bis zu 30 Prozent gegenüber dem US-Dollar im Zuge der Spannungen zwischen den USA und der Türkei. Allerdings hatte sich die Währung im Anschluss auch wieder erholt, nicht zuletzt nach der Freilassung des amerikanischen Pastors Brunson aus türkischer Haft. Weitere Tweets von Trump ließen die Lira erneut abwerten, jedoch blieben die Verluste zeitlich und vom Ausmaß mit wenigen Prozentpunkten begrenzt.

    Wie könnte die Lira auf den Syrien-Konflik reagieren?

    Gertrud Traud: Wenn nun im Zuge der Spannungen im Syrienkonflikt der Streit zwischen den USA und der Türkei eskaliert, könnte die Lira zwar merklich unter Druck geraten. Die Auswirkungen halten sich aber im Vergleich zu 2018 vermutlich in Grenzen.
     
    Die Wirtschaft der Türkei scheint sich langsam zu erholen. Laut Berichten soll die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe im September so gut wie seit März 2018 nicht mehr gewesen sein. Wie schätzen Sie die Wirtschaft der Türkei ein?

    Gertrud Traud: Insgesamt erholt sich die türkische Wirtschaft allmählich von dem Währungsschock im August 2018 und dem darauffolgenden schweren Wachstumseinbruch. Die Wirtschaft ist zwar in Q2 2019 um 1,5  Prozent im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft. Im Vergleich zum Vorquartal wuchs das BIP 2019 jedoch in den ersten beiden Vierteljahren mit jeweils mehr als 1 Prozent bereits wieder deutlich. Auf Jahressicht könnte somit eine Rezession vermieden und sogar ein leicht positives Wirtschaftswachstum erreicht werden. Wichtigster Wachstumstreiber sind die Exporte, vor allem Dienstleistungen (Tourismus).
     
    Die Regierung strebt für die kommenden drei Jahre ein jährliches BIP-Wachstum von fünf Prozent an. Ist dies ein realistischer Wert?

    Gertrud Traud: Wenn in Zukunft größere politische Störfeuer ausbleiben und von der derzeit schwächelnden Weltkonjunktur mehr Rückenwind kommt, könnte die Türkei in den nächsten Jahren wieder Zuwächse von gut 3 Prozent erreichen, von der Regierung angestrebte jährliche Raten von 5 Prozent erscheinen hingegen als zu ambitioniert.
     
    Ebenso soll die Inflation nochmals deutlich gesenkt werden. Für Ende 2020 wird mit 8,5 Prozent gerechnet – derzeit steht sie bei 15 Prozent. Wie könnte die Türkei dieses Ziel erreichen?

    Gertrud Traud: Die Inflation sank bereits nach Spitzenwerten von 25 Prozent vor einem Jahr unter 10 Prozent. Dies erklärt sich vor allem mit der Stabilisierung der Lira. Eine Inflation von 8,5 Prozent bis Ende 2020 erscheint ohne neue Währungsturbulenzen mehr als realistisch. Dies gibt der Zentralbank Spielraum für weitere Zinssenkungen. Nach einer Reduktion ihres Leitzinses um 425 Basispunkte auf 19,75 Prozent könnte die Zentralbank weitere Senkungen in der Größenordnung von 2 bis 3 Prozentpunkten vollziehen. Eine zu aggressive Rückführung des hohen Leitzinses könnte allerdings die rückläufige Inflationstendenz abbremsen und die Glaubwürdigkeit der Zentralbank gefährden.
     
    Die Lira birgt Unsicherheiten auch für die weitere Inflationsentwicklung. Wie schätzen Sie die Lage ein?

    Gertrud Traud: Nach einer Aufwertung in den Sommermonaten aufgrund der besseren Wirtschaftsdaten gab die Türkische Lira gegenüber dem US-Dollar zuletzt wieder Gewinne ab. Neue US-Wirtschaftssanktionen bergen zumindest temporäre Abwertungsrisiken für die Lira. Rein ökonomisch betrachtet ist das Chance-Risiko-Verhältnis für die türkische Währung jedoch positiv. Selbst inflationsbereinigt sind die türkischen Anleiherenditen attraktiv. Die vormals stark defizitäre Leistungsbilanz ist nahezu ausgeglichen. Damit wird das Problem der markanten Auslandsverschuldung der türkischen Wirtschaft gemildert. Auf Basis von Kaufkraftparitäten oder realer Wechselkursindizes gilt die Lira als deutlich unterbewertet.
     
    Auf der anderen Seite warnte der IWF die Türkei vor finanzpolitischen Experimenten. Eine finanzielle Unterstützung durch den IWF lehnte die Türkei ab. Ist die Türkei über den Berg – also raus aus der Krise? In welchen Bereichen könnte es für Anleger eine Chance geben?

    Gertrud Traud: Die politischen Risiken von US-Sanktionen bis hin zu innenpolitischen Turbulenzen in der Türkei erschweren vor allem kurzfristig den Ausblick. Ohne nachhaltige Eskalationen deutet einiges daraufhin, dass die Türkei das Schlimmste der wirtschaftlichen Krise überwunden hat. Für sehr spekulativ orientierte Investoren birgt das Land damit Chancen, zumal nicht nur die Währung, sondern auch der Aktienmarkt insgesamt günstig bewertet sind.

    Frau Dr. Traud, Vielen Dank für das Gespräch!

    Mit Dr. Gertrud Traud von der Helaba sprach Dr. Carsten Schmidt, Redakteur Wallstreet:Online.





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    Dr. Gertrud Traud im Interview Türkei-Krise? "Für sehr spekulativ orientierte Investoren birgt das Land Chancen" Die Türkei hat in dieser Woche mit den Angriffen auf Syrien begonnen. Im Vorfeld drohte Donald Trump mit der wirtschaftlichen Vernichtung der Türkei. In vielen Bereichen ist die Situation derzeit eher unübersichtlich. Die wallstreet:online-Redaktion …

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    Kommentare

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    10.11.20 05:39:11
    Die Nerven liegen blank bei Erdogan. Der nächste Idiot der nicht überleben wird
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    07.11.20 11:17:52
    Erdogan sollte weniger Kriege anzetteln, wenn er die Lira retten und Zinsen nicht explodieren lassen will. Seine Großmachtpläne sind aberwitzig teuer und provozieren internationale Sanktionen. Was bringt es da, den Zentralbankchef alle paar Monate auszutauschen? Das zeigt den Märkten nur, dass die Zentralbank nichts zu sagen hat, für Wochen führungslos ist und jeder Chef dort abgesägt wird, sobald er die Zinsen erhöht. So führt Erdogan bald zahllose türkische Unternehmen in die Pleite.
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    06.11.20 15:46:16
    Liegt aber nicht an mir, sondern an den Nachbarn, die Türkei militärisch bedrohen... Griechenland, Syrien, Armenien...
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    14.08.20 10:22:59
    Das ist aber sehr militärisch orientiert dein Post.
    Kannst du nicht sachlich bleiben und was zur konkretes über den Verfall der Türkischen Lira schreiben.
    Erstaunlich was du alles über Waffen weißt.
    Das ist aber der falsche Thread hier.
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    09.08.20 13:52:16
    Es sieht nicht gut aus, für die Türkische Lira...
    https://www.finanz.ru/novosti/aktsii/rossiya-perebrosila-s-4…

    Russland verstärkt weiterhin die militärische Unterstützung für die Armee von Marschall Khalifa Haftar in Libyen, der seit mehr als vier Jahren mit der von der UNO anerkannten Regierung mit nationaler Zustimmung in Tripolis um Ölressourcen kämpft.

    Laut Forbes verlegte Russland Anfang August wahrscheinlich S-300 oder eine aufgerüstete Version der S-400 nach Libyen und platzierte sie in der Nähe der Hafenstadt Ras Lanuf, die eine Festung für die Streitkräfte Haftars bleibt, die im Kampf um die Hauptstadt scheiterten und sich nach dem Eingreifen der türkischen Armee zurückzogen.

    In den Bildern, die in den sozialen Netzwerken erschienen, identifizierten Militärexperten die S-300-Trägerrakete und das mit ihr arbeitende Radargerät 96L6E. Es wird auch zur Erkennung und Erfassung von Zielen in den neuesten C-400 "Triumph"-Systemen verwendet.

    The War Zone berichtet, dass ein Flug der An-124 von Mozdok zum libyschen Luftwaffenstützpunkt Al-Hadim am 3. August bewies, dass die Verlegung von SAMs tatsächlich stattgefunden hat.

    Die traditionelle IL-76, die vom Verteidigungsministerium und privaten Unternehmen eingesetzt wird, ist nicht in der Lage, den Komplex zur späteren Installation zu transportieren. Sie erfordert ein schweres militärisches Transportflugzeug - wie die An-124. Es wurde auch für die Lieferung von C-400-Komponenten an die Türkei verwendet, erinnert die Publikation.

    Die russischen Systeme befinden sich angeblich in Ras Lanuf, einem wichtigen Terminal, über den libysches Öl für den Export verschickt wird.

    Der Hafen kontrolliert und blockiert die Armee von Haftar, die verhindert, dass libysches Öl auf den Weltmarkt gelangt, der aufgrund der Pandemie einen beispiellosen Angebotsüberhang aufweist.

    Letztes Jahr brachte Libyen seine Produktion auf 1,2 Millionen Barrel pro Tag und plante, sie innerhalb weniger Jahre auf 2 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen, doch im Januar war Libyen aufgrund der Angriffe der Armee Haftars auf die Felder und Anlagen der National Oil Corporation (NOC) gezwungen, die Bohrlöcher einzufrieren und nur noch winzige 100.000 Barrel pro Tag zu fördern.

    Gleichzeitig sind die Exporte praktisch zum Erliegen gekommen: Was die Verschiffung im August anbelangt, so gibt es laut Bloomberg nur noch zwei Tanker mit einer Kapazität von jeweils 600 Tausend Fässern.

    Russland handelt "nach der syrischen Methode" - S-400-Komplexe wurden auch nach Syrien verschifft, um russische Vermögenswerte zu schützen, sagt Aaron Stein, Leiter des Foreign Policy Research Institute in Philadelphia.

    Das Auftauchen von S-400 oder S-300 in Libyen sei ein Signal aus der Türkei, stellt er fest: Ankara habe Ende letzten Jahres Kämpfer aus Nordsyrien sowie Waffen und Drohnen in das Land geschickt und damit die Haftar-Truppen gezwungen, die 14-monatige Belagerung von Tripolis zu stoppen, und sie zum Rückzug gezwungen, zusammen mit den Kämpfern von PMC Wagner, der nach Angaben westlicher Geheimdienste Russland Haftar zusammen mit der Lieferung von Flugzeugen und Hochpräzisionswaffen unterstützt.

    "Die Russen machen deutlich, dass Sither und Jaafra (Festungsposten der Haftar-Armee - Anm. d. Red.) für sie eine rote Linie ist. S-300 werden, falls sie vorhanden sind, die C-1-Kurzstrecken-Panzerkomplexe ergänzen. Gemeinsam werden sie die Türkei zum Nachdenken anregen, bevor sie diese rote Linie überschreiten", sagte Stein.

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