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    Die IPO-Anomalie  7886  0 Kommentare Ineffiziente IPOs: Warum Banken und Fonds ständig zu enormen Geldverlusten beitragen

    Erst Kursrally, dann Underperformance: Schon im Jahr 2007 zeigte die Studie „Which, Why, and for How Long do IPOs Underperform?“, dass Aktien nach dem Börsengang im Durchschnitt eine schlechtere Rendite als der Gesamtmarkt erzielen, und zwar überwiegend im ersten Jahr ihrer Börsennotiz (Abb. 1). Als möglicher Grund wurde angeführt, dass vor allem kleine sowie wachstumsstarke Firmen an die Börse gehen, die entsprechend riskant sind und vielleicht etwas zu optimistische Erwartungen beinhalten. Allerdings zeigte sich, dass nach Bereinigung um die bekannten Risikofaktoren Marktkapitalisierung und Buchwert-Marktwert-Ratio kaum noch Renditeabweichungen verblieben, sodass zunächst keine echte Anomalie vorzuliegen schien.

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    Im Jahr 2012 lieferte die Studie „The Desire to Acquire and IPO Long-Run Underperformance“ das fehlende Puzzleteil. Demnach besteht einer der Hauptgründe für Börsengänge darin, finanziellen Spielraum für die Übernahme anderer Firmen zu schaffen. Das Problem dabei: Meist überschätzen sich die jungen Firmen. Die Forscher zeigen, dass IPOs, die innerhalb des ersten Jahres ihrer Börsennotiz größere Akquisitionen tätigen, auf Sicht von drei Jahren deutlich underperformen (risikoadjustiert: -15,6%), IPOs ohne Akquisitionen hingegen nicht (risikoadjustiert: +5,9%). Klassische Overconfidence der Manager nach einem IPO führt also dazu, dass bei Übernahmen draufgezahlt und damit Wert vernichtet wird.

    Hinzu kommt, dass beim Börsengang beteiligte Großinvestoren in der Regel 90 bis 180 Tage langen Lock-up-Fristen unterliegen, also Zeiträumen, in denen die Aktien nicht verkauft werden dürfen. Laufen diese ab, kommt es nicht selten zu einer größeren Verkaufswelle, die ebenfalls zur Underperformance beiträgt.

    First-Day Pop

    Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte. In Abb. 1 ist zu sehen, dass der erste Datenpunkt klar im Outperformancebereich liegt. Die Ursache hierfür ist, dass die Ausgabepreise bei Börsengängen systematisch deutlich zu niedrig liegen (Underpricing). Am ersten Tag der Börsennotiz folgt dann meist eine mächtige Kursrally. Jay Ritter von der University of Florida beziffert diese für den Zeitraum von 1980 bis 2017, gemessen über insgesamt 8.363 IPOs, auf durchschnittlich 17,9% – eine echte Anomalie!

    Bill Gurley von Benchmark Capital erklärt, wie es dazu kommt: 
    Für viele am Börsengang beteiligte Akteure bestehen Anreize, den Ausgabepreis möglichst niedrig zu halten, denn alle, die zu diesem Kurs eine Zuteilung erhalten, machen voraussichtlich ein gutes Geschäft – seien es ausgewählte Kunden der beratenden Investmentbanken oder Freunde der Unternehmensmanager. Das liegt wiederum daran, dass das erklärte Ziel einer „erfolgreichen“ Platzierung nicht selten eine zehn- bis 20-fache Überzeichnung ist. Hier können im Bookbuildingverfahren durchaus „geeignete Investoren“ ausgesucht werden, nicht selten die einflussreichsten Parteien, während 90% oder mehr der Nachfrage nicht zum Zuge kommt. Die Auswahl eher niedriger Gebote bringt zudem den Vorteil mit sich, dass die entsprechenden Analysten ein stark bullisches Bild zeichnen können.

    Mit der erwarteten Rally am ersten Handelstag kann dann der „Erfolg“ des Börsengangs gefeiert werden – zusammen mit den Medien, die bei hohen Kursgewinnen regelmäßig applaudieren. Tatsächlich ist dies jedoch ein Ausdruck von kurzfristigem Denken und im Kern nichts anderes als ein ziemlich teures Marketingevent für das Unternehmen, das infolge des Underpricings oft einen zweistelligen Prozentsatz des möglichen Emissionserlöses einbüßt. Jay Ritter zufolge entgingen den 8.497 Unternehmen, die seit 1980 aufs Börsenparkett strebten, dadurch insgesamt 171 Mrd. USD – Maßstab hierfür ist die Differenz aus Schlusskurs am ersten Handelstag und ursprünglichem Ausgabepreis. Am deutlichsten fiel in den letzten zehn Jahren übrigens das Underpricing (jeweils rund 30%) bei den „besten“ Investmentbanken aus, nämlich Goldman Sachs und Morgan Stanley.

    Warum tritt die Anomalie immer wieder auf?

    Wer sich nun fragt, ob denn die Marktteilnehmer nichts dazulernen – schließlich tritt der Effekt immer wieder auf –, liegt gar nicht so falsch. Wenn man der Argumentation von Bill Gurley folgt, machen die meisten Gründer in ihrem Leben nur einen einzigen Börsengang mit und sind sich bei den Details des Prozesses entsprechend unsicher, während das Ganze für die Investmentbanken eine Routineangelegenheit darstellt. Damit entsteht eine Asymmetrie, welche die Banken (natürlich) für sich auszunutzen wissen. Scheinbar haben sie zwar einen Anreiz für höhere Ausgabepreise, da sie einen Prozentsatz des Emissionserlöses als Gebühr kassieren. Tatsächlich können sie aber aufgrund ihrer Verhandlungsmacht infolge der Überzeichnung hohe Kommissionen auf das „Privileg“ durchsetzen, eine Zuteilung zu erhalten, und damit weitaus höhere Gewinne erzielen (sogenannte „Soft Dollars“ durch Nebengeschäfte). Trotz aller Fehlanreize und Ineffizienzen werden die meisten Börsengänge nach wie vor als klassische IPOs durchgeführt, denn viele Gründer sehen den Börsengang vor allem als einmalige Gelegenheit, einen großen Sprung zu machen, und weniger vor dem Hintergrund, wie viel Geld sie dabei auf dem Tisch liegen lassen. Obwohl die Märkte heute also schon ziemlich effizient sind, ist der Prozess, mit dem Unternehmen erstmals Zugang zu diesen Märkten bekommen, es noch lange nicht.

    Das Kräfteverhältnis könnte sich in Zukunft jedoch verschieben: Mit dem Direct Listing (Direct Public Offering; DPO) existiert eine attraktive Alternative, bei der die Aktien organisiert über einen Broker und begleitet durch eine Anwaltskanzlei direkt am Markt auktioniert werden. Statt einflussreicher Banken und Investmentfonds kann hier die Community eines Unternehmens aktiv in den Investorenpool einbezogen werden, Internetwerbung ersetzt die klassische Roadshow. Das Ganze ist sozusagen eine Art Crowdfunding mit erweiterten regulatorischen Vorschriften und weitaus geringeren Kosten. Spotify und Slack sind zwei bekannte US-Unternehmen, die diesen Weg bereits gingen; Airbnb scheint der nächste Kandidat zu sein.

    Fazit

    Die IPO-Anomalie besteht aus mehreren Teilen. Zunächst besteht im Durchschnitt ein erhebliches Underpricing beim Ausgabekurs der Aktien, gefolgt von einer entsprechend deutlichen Rally am ersten Handelstag. Meist hält diese aufgrund der initialen Euphorie der zuvor nicht zum Zuge gekommenen Anleger, die glauben, sie würden „die nächste Microsoft“ kaufen, noch Tage und Wochen an. Mit der Zeit nimmt die Aufmerksamkeit des Marktes jedoch ab und auslaufende Lock-up-Fristen tragen dazu bei, dass im ersten Jahr eher eine Underperformance entsteht – vor allem dann, wenn das Unternehmen überteuerte Akquisitionen getätigt hat. Insgesamt fallen sowohl der Kurssprung am ersten Handelstag als auch die spätere Underperformance bei kleineren Unternehmen im Durchschnitt stärker aus als bei großen Börsengängen.

    Autor: Dr. Marko Gränitz / Smart Investor

    (Diese Analyse aus der Smart Investor-Ausgabe 12/19 bezieht sich auf Daten, die bis zum 23.11.2019 erfasst wurden.)

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