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     2507  0 Kommentare Interview mit Dr. Günter Unterleitner zum Risikomanagement in und nach der Corona-Krise - Seite 2

    Wie hat sich Risikomanagement insgesamt in der Finanzindustrie entwickelt?

    Unterleitner (lacht): „Jetzt brauchen Sie aber viel Zeit, denn wie Sie wissen, bin ich Risikomanagement-Methusalem und -Begeisterter. Nein aber im Ernst: die Ursprünge des Risikomanagements entstanden im Taylorismus in der Industrie. Dort wird’s manchmal ja auch lebensbedrohlich, während man in der Finanzindustrie lange glaubte, das Risiko liege darin, dass man sich am Kaffee verbrüht oder am Bleistift sticht.

    Trotz der eindeutigen Signale auf fehlendes Risikomanagement in den Krisenjahren ab 1930 und den verheerenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft kamen erst in den 1970er-Jahren erste Abhandlungen zu Risikomanagement in der Finanzwirtschaft auf. Diese aus der Industrie und auch Naturwissenschaft abgeleiteten Konzepte waren die Spielwiese von Experten in den Banken und Aufsichtsbehörden und hatten trotz Aufhebung des Goldstandards noch lange betriebswirtschaftliche und nationale Schwerpunkte. Die Anfänge der Risikomessgrößen und Limits waren nicht verpflichtend und orientierten sich dabei hauptsächlich mit dem Grundsatz „Sturzhelm“, also vermeidet nicht das Unglück aber mindert die Ablebenswahrscheinlichkeit.“

    Bild: Bilanz. Bildquelle: www.synofin.li

    Das Risikomanagementprinzip „Sturzhelm“ war also ein richtiger Zwischenschritt aber wo stehen wir heute?

    Unterleitner: „Ja richtig. Das Sturzhelmprinzip bedeutete übersetzt auf Finanzintermediäre möglichst viel Kapital vorzuhalten, um Insolvenzen und deren Kettenreaktionen zu vermeiden. Aber die Krisen 2001 und 2008 haben gezeigt, dass es zum Sturzhelm in gewissen Situationen auch noch einen Fallschirm braucht.

    Die internationalen Aufsichtsregime und vor allem auf EU-Ebene haben also die Mindestkapitalausstattung noch zusätzlich in Beziehung zu den Geschäftsmodellrisiken gesetzt. Diese für Banken, Fondsgesellschaften und andere Finanzintermediäre verpflichtend eingeführten Risikokennzahlen und -Limite wurden auch noch mit der Auflage von Simulationen, also der Abbildung von Stresssituationen versehen.

    Die Regulatoren haben also ihre Hausaufgaben im Risikomanagement gemacht, aber wie sieht es mit der Umsetzung in der Praxis aus?

    Unterleitner: „Na das ist noch etwas durchwachsen. Die intensiven Bemühungen einzelner Verbände bei den Aufsichtsbehörden ein Proportionalitätsprinzip durchzusetzen ist nicht immer vollends gelungen, sodass viele kleinere und mittlere Finanzintermediäre vor großen Herausforderungen stehen. Für diese Gruppe ist es sehr schwierig beim regulatorischen Tempo und der Komplexität mitzuhalten. Bei den engen Margen sind auch die Kosten für eigene Risikomanager nicht tragbar. Somit sind sie auf die Hilfe von diesbezüglichen Risikomanagementlösungs- und -serviceanbietern angewiesen. Als aufsichtsbehördlich zugelassener Risikomanager bieten wir dieses Paket der Risikomanagementdelegation auch erfolgreich an, sehen aber sonst am Markt meistens nur Angebote technischer Lösungen über Plattformen ohne fachliche Risikomanagementunterstützung.

    Rainer Brosy
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    Rainer Brosy (B.Eng.) ist seit 10 Jahren Geschäftsführer einer Digital-Agentur und führt gerne Interviews mit Köpfen aus der Businesswelt.
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    Verfasst von Rainer Brosy
    Interview mit Dr. Günter Unterleitner zum Risikomanagement in und nach der Corona-Krise - Seite 2 Der Risikomanagement-Experte Dr. Günter Unterleitner ist seit über 30 Jahren in den Themenbereichen Risiko-, Prozess- und Qualitätsmanagement in unterschiedlichen Funktionen im westeuropäischen Markt tätig. 2003 gründete er in Liechtenstein die …