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    SI Titelstory Dezember 2021  273  1 Kommentar Mit Wucht zurück – die Inflation

    Erst tot geglaubt, dann unterschätzt. Die Inflation als systemisches Phänomen des Fiatgelds.

    Unterschiedliche Perspektiven

    Die Inflation ist seit Monaten in aller ­Munde, und dennoch herrscht nicht einmal Einigkeit darüber, worum es sich bei ­diesem Phänomen im Kern handelt. Für die Masse der Menschen und Öko­nomen ist Inflation ein Anstieg der Verbraucherpreise, technisch gesprochen ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus. Lediglich die Austrians nehmen in der Sache eine Minderheitenposition ein: Denn sie setzen bereits früher, beim Aufblähen (lat. „­inflare“) der Geldmenge an. Vieles spricht für ­diese Sichtweise. Zum ­­einen knüpft sie an der einzigen echten Ursache eines Anstiegs des allgemeinen (!) Preisniveaus an, zum anderen gibt sie bereits einen Hinweis auf infla­tionäres Potenzial, wenn die Preis­indizes noch lange nicht ausschlagen. Insbesondere erlaubt diese Sichtweise auch eine zutreffende Einschätzung der Assetpreisinflation, die von der Wirtschaftspolitik nur allzu gerne als Hinweis auf eine vor Kraft strotzende Wirtschaft missinter­pretiert wird. Der Keim der Inflation ist immer die übermäßige Geldmengenausweitung. Wo sich dieses Geld dann letztlich preiswirksam Bahn bricht, ist dagegen oft nicht exakt zu prognostizieren.

    Der Staat und das Geld

    Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass das Geldwesen nirgendwo schlechter aufgehoben ist als in den Händen des Staats. Von der staatlichen Münzverschlechterung früherer Tage bis zum modernen Notenbank­wesen hat sich zwar viel an den ­Methoden, wenig jedoch am Grundsätzlichen ­geändert. Die chronische Geldknappheit von ­Politik und Staat wurde und wird immer wieder gerne durch eine zunächst schleichende, quasi geräuschlose, ­letztlich aber durch ­eine offene Geldentwertung „gelöst“. Am Ende stand praktisch ausnahmslos die Währungsreform. Auch der ­­Versuch, das Geldwesen auf „unabhängige“ Notenbanken zu übertragen, ging nur in der Frühphase halbwegs gut. Meistens stecken den Verantwortlichen da noch die ­Erfahrungen des ­vorangegangenen Scheiterns in den Knochen, was sie entsprechend vorsichtig ­agieren lässt. Die Deutsche Bundesbank ist mit der Deutschen Mark ein Beispiel ­einer solchen frühen Erfolgsgeschichte, auch wenn sie letztlich unter den politischen Verhältnissen tragisch scheiterte.

    Diener vieler Herren

    Die wesentlichen Ursachen für das Scheitern unabhängiger Geldwächter sind nicht nur die Einflussnahme bei der Besetzung der Leitungsgremien und politischer Druck im Tagesgeschäft. ­Subtiler ist die Überfrach­tung einer Notenbank mit zusätzlichen ­Aufgaben, deren gleichzeitige Erfüllung aufgrund der vorhandenen Zielkonflikte zwangsläufig zu Kompromissen führt. Klassisch ist in dieser Hinsicht die Auf­gabenbeschreibung der Fed, die neben der Geldwertstabilität in Form von Preisstabi­lität im Innern und Stabi­lität des Dollar-Außenwerts auch für eine Verstetigung des Wirtschaftswachstums und niedrige Ar­­beitslosigkeit zuständig ist. Die simultane Erreichung dieser Ziele wird nicht umsonst als „magisch“ bezeichnet. Da die Hal­ter der Nominalwertanlagen im ­Gegensatz zu Wirtschaftsverbänden, ­Gewerkschaften und den Regierungen selbst über ­keinerlei Druckmittel oder schlagkräf­tige Lobby verfügen, ist auch klar, wessen Interessen im ­Zweifel auf der Strecke bleiben.

    Durchpolitisierter Währungshüter

    Zusätzlich sind inzwischen alle großen Notenbanken – freilich ohne dass dies offi­ziell auch so benannt wird – in die Staats­finanzierung eingestiegen, also genau in jenes Feld, aus dem sich eine ­unabhängige Notenbank tunlichst heraushalten sollte. Bei einer stark politisierten Organisation wie der Europäischen Zentral­­bank (EZB) tritt der Gedanke der Geldwertstabilität sogar noch weiter in den Hintergrund: Die EZB hat als einzige Notenbank der Welt noch die eminent wichtige Zusatzauf­gabe zu erfüllen, ihren eigenen Währungsraum, die Eurozone, gegen ein Aus­einanderbrechen abzusichern. Als würde das nicht genügen, will man dort künftig sogar auch noch für die Klimapolitik mit zuständig sein.

    Von Krieg bis Klima

    Die längste Historie aller Papierwährungen hat der US-Dollar – und dessen Geschichte ist ebenso bewegt wie lehrreich: Schon der Umstand, dass sich die Geldentwertungsraten des Dollar seit der Gründung des Federal Reserve System im Jahr 1913 gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten tendenziell erhöht ­haben, straft die Erzählung vom segensreichen Wirken der ­Notenbanken in Bezug auf die Geldwertstabilität Lügen (vgl. Abb. 1).

    Zwar ­haben zwei Weltkriege und die Große Depression tiefe Spuren hinterlassen, aber man könnte die Angelegenheit auch anders betrach­ten: Welchen Anteil hatten Notenbanken daran, dass derart langanhaltende und kostspielige Kriegshandlungen überhaupt finanziert werden konnten? Das klingt vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber ersetzen wir die Vokabel Krieg durch Pandemiebekämpfung oder Klimawandel, wird deutlich, was gemeint ist: Dem politischen Wunsch nach großen, „gemeinsamen Kraftanstrengungen“ werden sich Notenbanken jetzt und in Zukunft ebenso wenig verweigern wie in der Vergangenheit.

    „Not kennt kein Gebot“

    Damit bleibt die politische Unabhängigkeit der Notenbanken ein frommer Wunsch. Das gilt ganz besonders in Zeiten, die unter der Überschrift „Not kennt kein ­Gebot“ stehen. Dass wir aktuell in einer solchen Zeit leben, lässt sich nicht bestreiten. Die Willfährig­keit der Notenbanken gegenüber der Politik hat vor Jahren bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass deren Instrumenten­kasten der konventionellen Geldpolitik längst ausgeschöpft ist. Entsprechend beobachten wir eine rasche Abfolge geldpoliti­scher „Innovationen“, die anfangs noch zutreffend als Sündenfälle bezeichnet wurden. Ein Turbo und eine Blaupause war in dieser Hinsicht die Finanzkrise des Jahres 2008, die uns unter dem ­Titel Quantitative Easing eine neue Qualität aggressiver ­Geldschöpfung bescherte. Auch Null- und Negativzins gehören in diesen ­Bereich fragwürdiger Innovationen, die den Geldwert immer weiter ausge­höhlt haben. Fragwürdig waren diese Maßnahmen auch ­deshalb, weil sie an den zugrunde liegenden Problemen, vor allem der ­ausufernden Schuldenwirtschaft der Staaten, nichts verändert ­haben. Im Gegen­teil: Diesen Schuldnern wurden so nur neue ­Spielräume eröffnet, die diese unmittelbar für die ­Aufnahme weiterer Schulden ­nutzten.

    Entfesselte Geldsphäre

    Einer der großen geldpolitischen Sündenfälle, der seinerzeit aller­dings nicht von der US-Notenbank, sondern von der Nixon-Regie­rung begangen wurde, war die „vorübergehende Schließung des Goldfensters“ im August 1971 (vgl. Smart Investor 8/2021). Seitdem befinden wir uns weltweit in einem Umfeld völlig losgelöster Fiatgeldsysteme, und es zeigte sich unmittelbar, dass die Politik schon damals nicht mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen konnte. Nicht nur erwiesen sich die 1970er-Jahre als eines der stärksten Inflationsjahrzehnte überhaupt – seitdem folgt ­zudem die Geldmengenexpansion in den USA einem deutlich steileren Wachstumspfad (vgl. Abb. 1).

    Auf Innovation folgt Inflation

    Zwar liegen die einzelnen Stichtage weit auseinander, in der Zusam­menschau zeigen sie aber eine klare Entwicklungslinie, die von der Gründung der Fed über das US-Goldverbot, die Schließung des Goldfensters und diverse Finanzkrisen bis in die Jetztzeit weisen. Auch sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass die Geschichte fragwürdiger Innovationen – oder besser: der politischen Nutzbarmachung des Geldwesens – bereits ihren Endpunkt erreicht habe. Die nächsten Schritte drohen schon: Digita­les Zentralbankgeld, massive Negativzinsen, Bargeldabschaffung, bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) oder die sogenannte Modern Monetary Theory (MMT), an der übrigens nichts ­modern ist, sind nur einige der Themen, die vorangetrieben werden und den Geldwert weiter aushöhlen werden. Das künftige ­Geldwesen, das sich hier schemenhaft abzeichnet, wird von seiner Wertaufbewahrungsfunktion weitestgehend entkleidet, ein Instrument der Politik bzw. politischer Willkür sein.

    Weder Freund noch Helfer

    Es ist fast schon ein Treppenwitz, dass jene Notenbank ­genannte „Abteilung“ des Staats, die höchstselbst Billion um Billion aus dünner Luft schöpft, die Hüterin der Geldwertstabilität sein soll. Dieses Bock-als-Gärtner-Szenario ist schlicht absurd. ­Tatsächlich könnten die Interessen von Sparern und Staat nicht unterschiedlicher sein: Für Sparer wirkt die Inflation wie eine Sondersteuer auf Nominalanlagen; für den Großschuldner Staat ist dagegen jede Entwertung seiner Schulden hochwillkommen, ganz ­besonders in einer künstlichen Nullzinsumgebung, in der dies nicht einmal durch Zinszahlungen kompensiert wird. Aber nicht nur in der Rolle des Schuldners ist der Staat Hauptprofiteur – er ist es auch als Fiskus. Nicht nur, dass mit zunehmender Geldentwertung immer mehr Menschen in der Steuerprogression nach oben rutschen, auch der über die Geldentwertung angetriebene Anstieg der Assetpreise nützt dem Fiskus, weil die Anleger zunehmend bloße Scheingewinne zu versteuern haben. Entsprechend wird der reale Kaufkrafterhalt in Inflationszeiten fast ein Ding der Unmöglichkeit, weil neben der Geldentwertung auch noch die Steuer kräftig zubeißt.

    Hauptprofiteur und Hauptverlierer

    Weil der Staat Hauptprofiteur der Inflation ist, gleichzeitig aber vermeiden will, dass eine echte Inflationsmentalität entsteht, lässt er kaum etwas unversucht, die Geldentwertung kleinzurechnen, ja er verkauft sie sogar als wünschenswertes Ziel. Das fängt schon bei der Messung der Inflationsraten an, die üblicherweise als jährliche Wachstumsraten angegeben werden, was den gewünschten Effekt hat, dass selbst höhere Preissteigerungen nach einem Jahr wieder aus der Statistik „verschwunden“ sind – der eingetretene Kaufkraftverlust aber bleibt. Auch haben die Statistikbehörden der Länder zahlreiche Methoden, den Preisauftrieb durch Anpas­sung der Warenkörbe gedämpft auszuweisen. Was zu teuer wird, fliegt raus; was günstig bleibt, kommt rein. Das entspricht zwar tatsächlich dem Verhalten eines Haushalts mit ­Budgetrestriktion, aber es misst eben auch nur jenen Teil des echten Preisauftriebs. Ein besonderes Thema war in der Vergangenheit die ­sogenannte Hedonik, die insbesondere in den USA exzessiv angewendet ­wurde, um den technischen Fortschritt preisdämpfend zu berücksichti­gen. Der Amerikaner John Williams macht sich auf seiner Seite ShadowStats.com seit der umfassenden Reform der Preisindizes im Jahr 1980 die Mühe, die US-Inflation weiter nach der ursprünglichen Definition zu berechnen (vgl. Abb. 2), wobei die echte Preissteigerung zwischen den beiden Kurven liegen ­dürfte.

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