Polleit im Interview
"Die Zinsen werden früher gesenkt werden, als viele das erwarten"
Zinsen auf Rekordniveau lassen auch die Angst vor einer neuen Schuldenkrise wieder aufflammen. Ökonom Torsten Polleit spricht bei wO-TV über Gründe und Folgen des Dilemmas.
- Zinsen auf Rekordniveau lösen Angst vor neuer Schuldenkrise aus.
- Große Käufer wie China und Japan ziehen sich als Käufer von US-Staatsschulden zurück.
- Steigende Renditen auf Anleihen drängen private Investitionen zurück.
Martin Kerscher: Herr Professor Polleit, war denn die Staatsschuldenkrise eigentlich je weg?
Torsten Polleit: Das ist eine berechtigte Frage, denn die Schulden der Staaten sind in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Was erleichternd war für die öffentliche Schuldenlage, war natürlich der niedrige Zins. Man konnte neue Kredite aufnehmen mit geringen Zinskosten, und vor allem konnte man die fällig werdenden Schulden mit neuen Krediten Anschluss-finanzieren, die ebenfalls einen sehr niedrigen Zins trugen.
Das hat sich jetzt allerdings geändert, insbesondere die Kurzfristzinsen sind stark angehoben worden. Dies- und jenseits des Atlantiks. Und jetzt hat sich die Verschuldungslage natürlich dramatisch verändert.
Martin Kerscher: Ein Land, das besonders merkt, einer der größten Staats-Schuldner, sind die USA, die derzeit Probleme haben Käufer für ihre Anleihen zu finden. Mit welchen Konsequenzen?
Torsten Polleit: Insbesondere die großen Käufer der vergangenen Jahre kaufen nicht mehr, also beispielsweise China, Japan, Russland, Brasilien. Da zeigt sich, dass diese Länder ihre Bestände an Staatsschulden an US-Staatsschulden abbauen. Das heißt sie fallen aus als Käufer der neuen ausgegebenen Anleihen.
Das war zum Beispiel am letzten Dienstag zu beobachten, da hat das US-Finanzministerium 30-jährige Staatsanleihen verkauft, aber man hatte
nicht genug Käufer, der Zins ist gestiegen und die Emissionsbanken mussten etwa ein Viertel der ausstehenden Anleihe Volumina auf das eigene Buch nehmen, weil es eben keinen gab, der diese Anleihen
haben wollte. Das ist eine gefährliche Entwicklung, wenn die USA weiter ebenso hohe Staatsverschuldung finanzieren wollen.
Martin Kerscher: Die steigenden Renditen auf Anleihen haben ja noch eine weitere sehr bedenkliche Folge, nämlich dass sie private Investitionen zurückdrängen. Inwiefern?
Torsten Polleit: Ja, das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Natürlich konkurrieren alle um knappes Kapital. Unternehmen suchen nach möglichst günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für ihre Investitionen. Private Hausbauer suchen natürlich einen Kredit mit tiefen Zinskosten, und wenn der Staat sich so stark refinanziert, dann erhöht er das Angebot an Staatsanleihen, und tendenziell sinken dann die Anleihenkurse.
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Die Zinsen steigen und dann können es sich viele Unternehmen und Private gar nicht mehr leisten, neue Kredite aufzunehmen. Insofern droht durch das ungestüme Verschulden der Staaten, insbesondere
der Amerikaner, die privaten Ausgaben, die über Kredite finanziert werden, beiseite zu drängen, zu verdrängen, und das ist natürlich negativ für Wachstum und Beschäftigung.
Martin Kerscher: Wird das denn nicht auch zur Folge haben, dass die Leitzinssenkungen der Notenbanken früher kommen als erwartet?
Torsten Polleit: Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Leitzinsen dies- und jenseits des Atlantiks früher gesenkt werden, als das noch viele erwarten derzeit. Denn diese Zinskosten und Verteuerung, die frisst sich mit einer Zeitverzögerung in das Ausgabe- und Nachfrageverhalten der Volkswirtschaften.
Der erhöhte Zins wird zunehmend zu einem Problem für die Privaten, aber auch für die Staaten, der Druck auf die Zentralbanken nimmt zu, den Zins zu senken. Und man sieht auch bereits in den Daten, dass es eine drastische Verlangsamung der Kreditvergabe der Banken gibt….
Das komplette Interview gibt es auf unserem YouTube-Kanal zu sehen.
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