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     2057  0 Kommentare Alles völlig egal

    Der Krug der Witwe beschützt

    Während der Dax in ziemlich überzeugender Manier die 7.000-Punkte-Marke nimmt, bin ich im weiteren Umland von Berlin unterwegs. Hat die Börse überhaupt eine Bedeutung für die Menschen im Lande? Die Gewerkschaft ver.di streikt gerade dagegen, dass der 1. Mai und Himmelfahrt auf einen Tag gelegt und damit die Arbeitnehmer um einen Feiertag betrogen werden. Die Zimmerfrau im Hotel sagt so laut, dass es kein Gast überhören kann: „Icke kann sowieso nich feiern, weil icke als einzige arbeiten muss.“

    Ja, die anderen scheinen keine Arbeit zu haben, und wer Arbeit hat, macht sie missmutig. Weil ja sowieso alles egal ist. Das Geld kommt eh, ob nun etwas mehr oder weniger, ja Gott, aber an Gott glaubt ja sowieso niemand mehr. Vom Aufschwung profitiert niemand so recht, obwohl es von teuren Geländewagen und Sportbooten nur so wimmelt. Die Börse und die Wirtschaftsentwicklung, das alles läuft in einem ganz anderen Film, den sich aber niemand anschaut.

    Die CSU will die Steuern senken, die SPD die Löhne erhöhen, die CDU will beides nicht, macht aber beides mit, die FDP gibt es nicht mehr – und die Linke möchte, dass es Manna vom Himmel regnet. Irgendwie scheint das mit dem Geldsegen wunderbar zu funktionieren, auch wenn man sich nicht darum kümmert, davon keine Ahnung hat und sich vielfach nicht einmal dafür interessiert. Was für geniale Dinge, unser Geld, unser Staat, unser System. Von allen Seiten der Hass, und trotzdem überall das reibungslose Funktionieren.

    Hat überhaupt noch irgendetwas mit irgendetwas zu tun? Wir leben so nonchalant vor uns hin, das Funktionieren funktioniert, wir klagen auf höchstem Niveau, und es ist doch sowieso alles egal, weil man es nicht beeinflussen kann, das Geld aber dennoch immer reicht. Wir leben von der Hand in den Mund, aber immer mit dem riesigen Batzen Zaster im Hintergrund. Der Krug der Witwe wird niemals alle werden. Egal, ob die Börse steigt oder fällt, was in China passiert oder ob Amerika noch existiert oder nicht.

    Aber wahrscheinlich ist das nur ein sehr subjektiver und überdies ziemlich falscher Eindruck. Die Wirklichkeit, sie muss einfach bedeutsamer sein und überdies viel mehr Konsequenzen bereit halten. Das muss einfach so sein. Mal sehen, ob und wann sich das heraus stellt.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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