Klage Regeln statt Krücken
Zeit für die Wende in der Europolitik
In der Griechenlandpolitik scheint das Unwort „Schuldenschnitt“ nun aus kosmetischen Gründen in „Schuldenrestrukturierung“ umgewandelt zu werden. Viel populärer wird es dadurch nicht – weder in Griechenland noch in Deutschland.
Dabei ist die Idee, die Rückzahlung an das wirtschaftliche Wachstum zu koppeln, gar nicht so schlecht. Bei Unternehmensinsolvenzen bekommen die Gläubiger auch oft "Besserungsscheine" und partizipieren so an der Erholung. Im Unterschied zu Griechenland werden die Unternehmen dann aber saniert. Wie es nach der Regierungserklärung von Alexis Tsipras aussieht, ist ähnliches für Griechenland illusorisch.
So wird weiter um Semantik gestritten, wo doch Griechenland gar kein akutes Problem mit den Schulden hat, wie eine Analyse der Zinsbelastung zeigt. Die Belastung der Griechen mit Zinsen in Höhe von 2,6 Prozent vom BIP ist deutlich geringer als in Spanien (4,1 Prozent), Italien (4,7 Prozent), Portugal (5 Prozent) und Irland (3,3 Prozent). Die öffentlichen Gläubiger bekommen bis 2022 ohnehin keine Zinsen, wie der Spiegel so schön vorrechnet. Das Thema Schuldenschnitt ist damit völlig irrelevant für die heutige Politik in Griechenland.
Dammbruch: Politikwechsel in Europa
In Wirklichkeit dürfte es um etwas ganz anderes gehen: einen Politikwechsel in Europa. Die zweifellos falsch durchgeführte Sparpolitik in Griechenland wird als Beweis dafür herangezogen, dass Sparen nur schadet und die Wirtschaft lieber mit mehr (staatlichen) Schulden und billigem Geld stimuliert werden muss.
Damit steht ein Dammbruch bevor. Eine Währungsunion funktioniert nur, wenn man entweder völlig integriert ist, also eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt: gleiche Sozialstandards, gleiche Besteuerung und zentrale Budgethoheit. Oder, wenn eine solche Integration nicht gegeben oder erzielbar ist, wenn es klare Schuldengrenzen und ein unumstößliches No-Bail-out gibt mit der Akzeptanz von Staatsbankrotten.
Bei der Einführung des Euros haben die deutschen Politiker auf die völlige Integration gehofft und als Krücke die Schuldengrenzen und No-Bail-out-Regeln implementiert. Ein geordnetes Insolvenzverfahren hielt man nicht für nötig. Eine Einschätzung, die sich seit 2010 bitter gerächt hat.
Zeit also für eine Wende, diesmal in der Europolitik! Es gilt, den weiteren Schaden für Deutschland zu begrenzen. Dazu müssen wir uns an die Spitze der Bewegung setzen, statt ihr hinterherzulaufen. Und es wäre nicht die erste Kehrtwende der Kanzlerin. Hatte die Bundesregierung zuvor die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke als einen Beitrag zur langfristigen Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefeiert, so wurde nach dem Unglück von Fukushima der sofortige Ausstieg beschlossen. Dies, obwohl es weder Erdbeben noch Tsunamis in Deutschland gibt. Zu groß war die Angst von Frau Merkel vor dem Wahlvolk.