checkAd

    Analyse  2483  0 Kommentare Die Bedeutung des Ausgangs der Brexit-Verhandlungen für die Zahlungsbilanz

    In den letzten Jahren – und im Gegensatz zu dem Jahrzehnt vor der globalen Finanzkrise – hat sich die Bilanz der Primäreinkommen immer stärker auf die Höhe des britischen Leistungsbilanzdefizits ausgewirkt. Die britischen Zahlungen für Schuldtitel und Aktien sind höher als die aus dem Ausland erhaltenen Beträge.

    Wechselkursänderungen des Pfund Sterling und Renditeschwankungen spielen daher eine wichtige Rolle. Zwischen der Währungsentwicklung und dem Leistungsbilanzdefizit besteht in mancher Hinsicht ein zirkulärer Zusammenhang. Ein schwächeres britisches Pfund führt in Großbritannien zu höheren Anlageerträgen aus dem Ausland (Primäreinkommen) und wirkt sich somit positiver bzw. weniger negativ auf das Leistungsbilanzdefizit aus. Dies war seit dem zweiten Quartal 2016 der Fall.

    Betrachtet man die Leistungsbilanz noch genauer und schlüsselt die Komponente des Primäreinkommens weiter auf, zeigt sich, dass der Übergang zu einem negativen Nettoprimäreinkommen aus Investitionen und die jüngste Rückkehr auf ein neutrales Niveau vor allem auf Schwankungen der Nettoerträge aus Direktinvestitionen im Ausland zurückzuführen waren. Darüber hinaus wirken sich die Wechselkursschwankungen des Pfund Sterling auf das britische Primäreinkommen aus. Es besteht seit 2010 eine beachtliche Korrelation zwischen dem EUR/GBP-Wechselkurs und der Bilanz der Primäreinkommen aus Investitionen. Dies zeigt klar auf, wie wichtig die Investitionsbeziehungen zwischen Großbritannien und Europa sind (die Korrelation zum USD/GBP-Kurs ist deutlich geringer). Die Beobachtung deutet auch darauf hin, dass das britische Primäreinkommen im Falle einer weiteren Abwertung des britischen Pfunds erstmals seit dem zweiten Quartal 2013 wieder in den positiven Bereich drehen könnte.

    Die Kapitalbilanz (die das Leistungsbilanzdefizit ausgleicht) hat sich indes nicht so entwickelt, wie man nach der Brexit-Entscheidung vielleicht erwartet hatte. Als Begründung hätte angeführt werden können, dass Großbritannien nach dem Brexit-Votum einen Anstieg der Portfoliozuflüsse verzeichnen würde, um den Wettbewerbsvorteil auszunutzen, von dem die großen britischen Exportunternehmen durch die Abwertung des Pfund Sterling profitierten. Es wäre vielleicht auch zu erwarten gewesen, dass gleichzeitig die NettoFDI-Zuflüsse zurückgehen, da sich die Unsicherheit hinsichtlich der langfristigen Geschäftsaussichten in Großbritannien nach dem Referendum vergrößert hat. Dies war jedoch nicht der Fall. Stattdessen wurden die umfangreichen Nettoabflüsse aus Aktienportfolios Ende 2016 durch den deutlichen Anstieg der NettoFDI-Zuflüsse mehr als aufgewogen. Erwähnenswert ist, dass Europa zwar für Großbritannien weiterhin ein bedeutender Handelspartner und eine Quelle für Erträge aus Auslandsinvestitionen ist, doch dies gilt nicht für die Netto-FDI-Zuflüsse nach Großbritannien, die gemäß den neuesten verfügbaren Daten inzwischen vorwiegend aus den USA stammen.

    Der Anstieg der Netto-FDI-Zuflüsse im letzten Jahr könnte teilweise durch die Tatsache erklärt werden, dass 2016 ungewöhnlich hohe Netto-Zuflüsse durch Fusionen und Übernahmen nach Großbritannien strömten. Bei FDI handelt es sich außerdem um langfristige Engagements, die möglicherweise bereits vor der Brexit-Entscheidung eingegangen wurden, sodass sich die Umkehr der FDI-Zuflüsse zeitlich verzögert. Was die Portfolioströme bei britischen Aktien anbelangt, verschärfte sich die Verkaufswelle durch die Übernahme und Einstellung der Börsennotierung von SAB Miller, da das Unternehmen eine Marktkapitalisierung von über 70 Milliarden GBP aufweist und zu einem beträchtlichen Anteil nicht in britischer Hand liegt. Diese starken Schwankungen der Netto-FDI und Portfolioströme Ende des letzten Jahres haben sich seither abgeschwächt. Im ersten Quartal 2017 war eine leichte Umkehr zu konstatieren.

    Wie könnte sich der Brexit auf die britische Zahlungsbilanz auswirken? Im Allgemeinen würde ein härterer Brexit wahrscheinlich mit einer schwächeren Währung in Verbindung gebracht werden sowie mit einem niedrigeren Leitzins (und einer geringeren relativen Rendite von britischen gegenüber ausländischen Anlagen, insbesondere bei festverzinslichen Wertpapieren). Die Folge wäre ein Anstieg des Primäreinkommens und somit eine günstigere Leistungsbilanz. Bei einem weicheren Brexit könnten ein höherer Leitzins und eine stärkere Währung das Gegenteil bewirken, da ein Rückgang des Primäreinkommens das Leistungsbilanzdefizit erhöht.

    Sollte es zu einem weichen Brexit und in der Folge zu einer potenziellen Verschlechterung des Leistungsbilanzdefizits kommen, das nicht durch einen nachhaltigen Anstieg des Kapitalbilanzüberschusses ausgeglichen wird, würde dies zu einer allgemein schwächeren Zahlungsbilanz führen. Es ist nach wie vor ungewiss, ob die Kapitalbilanz den möglichen Anstieg des Leistungsbilanzdefizits im Falle eines weichen Brexit nachhaltig ausgleichen könnte, vor allem, da niemand weiß, wie ein weicher Brexit aussehen könnte. Falls der Brexit wirklich weich ausfällt und beispielsweise das Passporting aufrechterhalten wird, ist eine Rückkehr zu dem Status Quo vor der Brexit-Zeit möglich. Bei diesem Szenario könnten starke FDI und Portfoliozuflüsse aufgrund positiver Geschäftsaussichten in Großbritannien dazu führen, dass das Leistungsbilanzdefizit durch die Kapitalbilanz erfolgreich ausgeglichen werden kann. Doch ungeachtet der jüngsten Spekulationen dürfte ein wirklich weicher Brexit unwahrscheinlich sein, denn es mangelt an a) einer starken Kooperation seitens der EU, b) einer klaren Strategie der Konservativen Partei und c) gewissen Zugeständnissen von britischer Seite in puncto Immigration. In diesem Punkt dürfte eine Einigung besonders unwahrscheinlich sein, war dieser doch genau der Grund, aus dem sich viele Wähler für den Brexit entschieden hatten.

    Sollte Großbritannien den Weg eines harten Brexit beschreiten, wird der Einfluss auf die Zahlungsbilanz davon abhängig sein, wie sehr sich die Leistungsbilanz unter Umständen verbessert, falls der niedrigere Leitzins und der schwächere Wechselkurs einen Anstieg des Primäreinkommens bewirken. Verbessert sich die Leistungsbilanz so sehr, dass die nach einem harten Brexit verzeichneten Zuflüsse in der Kapitalbilanz für eine stabile Zahlungsbilanz ausreichend sind, können die Bedenken vermutlich beiseitegeschoben werden. Wie gesagt ist jedoch zu beachten, dass es bei den FDI noch nicht zu den erheblichen Nettoabflüssen gekommen ist, die aufgrund der mit dem Brexit verbundenen Unsicherheit erwartet wurden. Wenn ein harter Brexit die Unsicherheit über die Geschäftsaussichten in Großbritannien weiter vergrößern sollte, könnten diese FDI-Abflüsse schnell Realität werden und eine Gefahr für die britische Kapitalbilanz und damit auch für die Zahlungsbilanz darstellen.

    Fazit: Sollten die Anleger die Nachhaltigkeit der Finanzierung des britischen Leistungsbilanzdefizits aufgrund mangelnder langfristiger Zuflüsse in der britischen Kapitalbilanz hinterfragen, würde dies die Nachfrage nach britischen Anlagen weiter schwächen. Ein Abzug von Anlegergeldern würde zu einem Anstieg der Anleiherenditen führen, und das britische Pfund würde beginnen, gegenüber anderen Währungen abzuwerten. Auch wenn dies wie eine endlose Spirale erscheinen mag, würde die Abwertung des Pfund Sterling die Erträge aus dem Ausland letztlich erhöhen und dazu beitragen, das Leistungsbilanzdefizit zu stabilisieren. Denn zwischen der Entwicklung der Währung eines Landes und dessen Leistungsbilanzdefizit besteht in mancher Hinsicht ein zirkulärer Zusammenhang. Die im Vorfeld zu erwartende Volatilität wäre für britische Anlagen jedoch ungünstig.

    Gastautor: Maya Bhandari, Investment-Analyst im Bereich Multi-Asset bei Columbia Threadneedle Investments





    Weitere Artikel des Autors

    Verfasst von wO Gastbeitrag
    Analyse Die Bedeutung des Ausgangs der Brexit-Verhandlungen für die Zahlungsbilanz In den letzten Jahren – und im Gegensatz zu dem Jahrzehnt vor der globalen Finanzkrise – hat sich die Bilanz der Primäreinkommen immer stärker auf die Höhe des britischen Leistungsbilanzdefizits ausgewirkt. Die britischen Zahlungen für Schuldtitel und Aktien sind höher als die aus dem Ausland erhaltenen Beträge.

    Schreibe Deinen Kommentar

    Disclaimer