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    Die Verstaatlichung der Geldschöpfung?  8446  3 Kommentare Vollgeld: Kein Geld aus dem Nichts mehr?

    Die Schweizer stimmen im Juni 2018 über die Vollgeld-Initiative ab. Was ist Vollgeld und welche Vor- und Nachteile bietet es? Die wallstreet-online Redaktion versucht Licht ins Dunkel zu bringen.

    In wenigen Wochen stimmen die Schweizer über die sogenannte Vollgeld-Initiative ab. Doch was ist Vollgeld eigentlich? Um dies zu klären, bedarf es zu mindestens einer kurzen Einführung in die Schaffung von Geld, denn schlussendlich würde die Einführung von Vollgeld die Verstaatlichung der gesamten Geldschöpfung bedeuten.

    Theoretische Grundlagen:
    Die Schaffung neuen Geldes wird allgemein als Geldschöpfung bezeichnet. Während Bargeld durch staatliche Notenbanken geschaffen wird, liegt die Schöpfung des bargeldlosen Buch- oder Giralgeldes in den Händen der Geschäftsbanken. Vergibt ein Geldinstitut einen Kredit, so entsteht neues Giralgeld. Ihre Kredite müssen die Banken allerdings nur mit wenig Bar- bzw. Zentralbankgeld unterlegen, in der Eurozone sind es rund drei Prozent, so der Deutschlandfunk. Der Rest entsteht quasi aus dem Nichts. Deshalb können Geschäftsbanken nahezu unbegrenzt Kredite vergeben und damit Giralgeld schaffen.

    Es gibt deutlich mehr Giral- als Bargeld. In der Schweiz belief sich der Bargeldumlauf  Ende 2017 auf rund 87 Milliarden Franken. Demgegenüber stand Buchgeld in Höhe von 550 Milliarden Franken, so die Neue Züricher Zeitung (NZZ). In der gesamten EU macht Buchgeld rund 85 Prozent der gesamten Geldmenge aus. Die folgende Grafik für das Jahr 2017 verdeutlicht dies anschaulich (in Billionen Euro):


    Quelle: Deutschlandradio (in Billionen Euro)

    Hintergrund der Vollgeld-Befürworter:
    Befürworter der Vollgeldes wollen, dass die Giralgeldschöpfung nicht mehr durch Geschäfts-, sondern nur noch durch Zentralbanken getätigt wird. Somit wären Notenbanken für die gesamte Geldschöpfung verantwortlich und Geschäftsbanken könnten nur noch Kredite in der Höhe vergeben, wie sie Einlagen besitzen. In anderen Worten: Will ein Geldhaus einen Kredit in Höhe von einer Millionen Euro vergeben, muss es auch Bargeld in selbiger Höhe vorhalten.

    Doch warum wollen die Verfechter des Vollgeldes, dass die Giralgeldschöpfung nicht mehr in den Händen der Geschäftsbanken liegt? Sie argumentieren, dass Banken durch ihre Kreditvergabepraxis in der Vergangenheit immer wieder für die Entstehung von Blasen mitverantwortlich waren. Die Finanzkrise ab 2007 entstand beispielsweise unter anderem durch eine Immobilienblase in den USA: Banken hatten durch eine Aufweichung der Kreditvergabestandards hochriskante Immobilienkredite an eine Vielzahl von nicht kreditwürdigen Schuldner vergeben.

    Geschichtlicher Eskurs:
    Die Idee des Vollgeldes ist keine linke Idee, sondern wurde in den 1930er Jahren als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise an der Universität von Chicago entwickelt. Ausgerechnet der Begründer des Neoliberalismus, Milton Friedman, war ein Befürworter des Vollgeldes, so das Handelsblatt. Sein Argument: Vollgeld macht das Finanzsystem stabil und sicher.

    Vor wenigen Jahren untersuchten IWF-Forscher die theoretischen Folgen dieser radikalen Bankenreform. Ihr Ergebnis: Vollgeld würde Bankenkrisen eindämmen und zu Wirtschaftswachstum führen. Außerdem würden Bank Runs verhindert werden, so die Forscher. Bei einem Bank Run, oder Bankensturm, wollen viele Kunden gleichzeitig ihre Einlagen aus Angst vor einer drohenden Bankenpleite abheben. Paradoxerweise führt genau dieses Verhalten dazu, dass die Bank in die Insolvenz getrieben wird.

    Kritik aus der Schweiz:
    Ein Wechsel hin zu einem Vollgeldsystem bietet neben Vorteilen, jedoch auch erhebliche Nachteile und Risiken, so die NZZ. Eine Verstaatlichung der Geldschöpfung könnte beispielsweise dazu führen, dass weniger Kredite vergeben werden, was das Wirtschaftswachstum bremsen könnte. Der größte Nachteil besteht jedoch für Banken, denen ein lukrativer Geschäftszweig genommen werden würde. Weiterhin wurde das Vollgeld bisher noch in keinem Land der Welt erprobt, weswegen Praxiserfahrungen fehlen und unbekannte Risiken bestehen. Schweizer geldpolitische Experten haben sich mehrheitlich kritisch zum Vollgeld geäußert, so die NZZ.

    Fazit:
    Das Vollgeld ist ein spannendes geldpolitisches Konzept, das weiter erforscht werden sollte. Möglicherweise könnte es zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen. Das Thema Geldschöpfung sollte gesamtgesellschaftlich mehr ins Zentrum rücken, denn zu wenige wissen, dass nicht nur die Zentralbank Geld schaffen kann.

    Quellen:
    Handelsblatt:“ IWF-Forscher spielen radikale Bankreform durch“
    Deutschlandfunk: „Vollgeld statt Buchgeld“
    Deutschlandfunk Kultur: "Von festen Werten und liquiden Mitteln"
    Neue Züricher Zeitung: „Vollgeld, Liquidität und Stabilität“
    Neue Züricher Zeitung:Die NZZ erklärt die Vollgeld-Initiative
    Jaromir Benes und Michael Kumhof: „The Chicago Plan Revisited“

     





    wallstreetONLINE Redaktion
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    Verfasst vonFerdinand Hammer
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