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     438  0 Kommentare Ökonomen-Stimmen zum Ausgang der Europawahl

    FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Wahlen zum europäischen Parlament wurden auch an den Finanzmärkten genau beobachtet. Die traditionellen Volksparteien haben schwach abgeschnitten. Die Grünen und die Liberalen gewannen Stimmen hinzu. Zugelegt haben auch rechtspopulistische Parteien, auch wenn sie hinter den Erwartungen zurück blieben. Ökonomen bewerten die Ergebnisse unterschiedlich. Auch die Frage der Neubesetzung der Ämter von EU-Kommissionschef und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) wird beleuchtet.

    Das sagen Experten zu den Ergebnissen:

    Kevin Körner, Ökonom und Europaexperte bei Deutsche Bank Research:

    "Trotz der Zunahme der Euroskeptiker im Europäischen Parlament zeigt die deutlich höhere Wahlbeteiligung ein erfreulich gestiegenes Interesse der Wähler an der Europäischen Union. Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse werden aber die nächsten Wochen bestimmen: Langwierige Auseinandersetzungen zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament sowie intensive Verhandlungen über die Top-Jobs zwischen den Staats- und Regierungschefs könnten die Ernennung der nächsten Kommission über den Oktober hinaus verzögern. Das würde ein schlechtes Bild auf die Fähigkeit der EU werfen, konstruktiv politische Entscheidungen zu treffen. Dies könnte sich auch auf das Vertrauen der Finanzmärkte in die gemeinsame Währung auswirken."

    Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement bei Union Investment:

    "Für die europäischen Kapitalmärkte ist das Wahlergebnis Weckruf und Belastung zugleich. Die Anlageregion wird angesichts der anhaltenden Unsicherheiten über den politischen Kurs Europas mit Bewertungsabschlägen gegenüber international vergleichbaren Investments leben müssen. Es droht eine Populistenprämie. Diese resultiert daraus, dass im Gegensatz zur Situation in den USA nicht ein populistisch agierender Präsident sondern zahlreiche populistisch agierende Parteien mit zum Teil stark divergierenden und oftmals eher antieuropäischen Motiven agieren. Die Europawahl zeigt: Der Kontinent braucht politische Bewegung und neue Weichenstellungen, soll er wirtschaftlich erfolgreich und damit strategisch attraktiv für Investoren bleiben."

    Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP-Bank:

    "Die Europawahlen haben keine direkten Implikationen für die Finanzmärkte. Allerdings lässt sich aus dem Wahlergebnis in einzelnen Ländern ablesen, dass es in den kommenden Monaten unter Umständen ungemütlich werden könnte. Neuwahlen in Griechenland versprechen Unsicherheit. Auch in Italien könnte sich Matteo Salvini in seinem Kurs bestätigt fühlen und erneut auf Konfrontationskurs mit der EU gehen. Sprengstoff bleiben dabei die italienischen Haushaltsplanungen. Auch in Deutschland werden CDU und SPD stärker an ihrem Profil feilen müssen. Streit in der großen Koalition scheint programmiert zu sein. Wer auf eine baldige Stärke des Euro gegenüber dem US-Dollar setzt, dürfte vermutlich auf dem falschen Fuß erwischt werden. Der Dollar wird vorerst gut unterstützt bleiben."

    Jörg de Vries-Hippen, Allianz Global Investors:

    "Die ersten Ergebnisse der Europawahl zeigen, dass der erwartete Siegeszug der populistischen und euroskeptischen Parteien ausgeblieben ist und die proeuropäischen Parteien weiterhin dominieren. Das stärkt das wachstumsfördernde Fundament der Europäischen Union. Zwar bleibt die politische Unsicherheit, nicht zuletzt auch angesichts der anstehenden nationalen Wahlen, aber die mehrheitsbasierte Politikgestaltung auf EU-Ebene dürfte sich mit weniger populistischem Gegenwind als erwartet transparenter und kalkulierbarer gestalten."

    Gabriel Felbermayr, Präsident Institut für Weltwirtschaft Kiel:

    "Um der Destabilisierung entgegenzuwirken, sollte die EU eine Reform auf Grundlage zweier Prinzipien angehen: Erstens sollte sie sich auf Projekte mit echtem europäischen Mehrwert konzentrieren, der in jedem einzelnen Land spürbar werden muss, und sie sollte dabei zu einem gewissen Grad unterschiedliche Integrationsmodelle für einzelne Länder zulassen. Zweitens muss das Subsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt werden. Je mehr die EU Bereiche reguliert, die ebenso gut oder besser in den Mitgliedstaaten geregelt werden, umso höher ist die Gefahr, dass die Kosten-Nutzen-Analyse gegen Europa ausfällt. Wer Europa voranbringen will, muss es wie ein ins Trudeln geratendes Unternehmen restrukturieren."

    Friedrich Heinemann, ZEW-Ökonom:

    "Für Deutschland ist die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung als der Chefsessel der EU-Kommission. Die Kommission verfügt zwar in der EU-Gesetzgebung über die Gesetzesinitiative, letztlich bedarf aber jedes Gesetz der Zustimmung von Rat und Parlament. Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament werden den Handlungsspielraum des nächsten Kommissionspräsidenten so stark einengen, dass die Frage seiner eigenen politischen Überzeugungen wenig relevant ist. Dies ist für die EZB grundlegend anders: Der EZB-Rat entscheidet über alle Maßnahmen der Geldpolitik in völliger Unabhängigkeit von Parlament oder Rat. Dazu gehören seit 2010 auch Entscheidungen über den Kauf von Staatsanleihen der Euroländer."/jsl/bgf/jha/





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