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    Marktkommentar  126  0 Kommentare Prof. Dr. Jan Viebig (Oddo BHF): Deutschland hat gewählt

    Das Absinken der Linken in die Bedeutungslosigkeit und die Verluste der AfD sind für die Märkte ein Grund zum Feiern.

    01.10.2021 -

    Die zentrale Auswirkung der Bundestagswahlen vom 26. September 2021 zum Anfang: Die extremen Parteien haben an Zustimmung verloren, die Mitte ist gestärkt. Die Finanzmärkte haben eine rot-rot-grüne Regierung gefürchtet, da die Linke für Vermögen oberhalb von 5 Mio. EUR eine Steuer von 5% p.a. und eine zusätzliche, über 20 Jahre zu zahlende Vermögensabgabe in Höhe von 30% erheben und Einkommen ab 70.000 EUR mit 53% und ab einer Millionen EUR mit 75% besteuern wollte. Ein Linksrutsch mit einer rot-rot-grünen Regierung unter Olaf Scholz, die den Anweisungen von Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und Kevin Kühnert folgt, erscheint nach dem Wahlergebnis unwahrscheinlich. Das Absinken der Linken in die Bedeutungslosigkeit und die Verluste der AfD sind für die Märkte ein Grund zum Feiern: Die extremen Ränder sind geschwächt. Nach einem enttäuschenden Wahlkampf, in dem es an Inhalten mangelte, sind eine „Ampel-Koalition“ oder eine „Jamaika-Koalition“ die wahrscheinlichsten Lösungen, wobei das politische Momentum derzeit für die „Ampel“ zu sprechen scheint. Anders als 2017, als „Jamaika“ an der fehlenden Kooperationsbereitschaft von Grünen und FDP scheiterte, scheinen nun beide die Regierungsverantwortung zu suchen. Noch am Wahlabend beteuerten FDP und Grüne ihre Gesprächsbereitschaft. Langwierige Koalitionsverhandlungen und politische Unsicherheiten könnten sich allerdings negativ auf die Finanzmärkte auswirken.

    In einer „Ampel-Koalition“ würde der FDP die Rolle des finanzpolitischen Korrektivs zukommen. Die FDP könnte steuerliche Entlastungen der unteren Einkommensgruppen mittragen, wenn dies die Bezieher höherer Einkommen nicht allzu sehr belastet. Die Steuer- und Abgabenlast von Unternehmen – mit einem durchschnittlichen Unternehmenssteuersatz von fast 30% – gehört zu den höchsten in Europa. Eine von zahlreichen Ökonomen immer wieder geforderte Senkung der Unternehmenssteuern auf einen international wettbewerbsfähigen Steuersatz von 25% ist nicht zu erwarten. Vorstellbar ist jedoch, dass die neue Regierung Abschreibungsmöglichkeiten verbessert, insbesondere für Investitionen, die sich unter die großen Ziele Klimaschutz und Digitalisierung subsumieren lassen. 

    Die Grünen werden versuchen, eine engagiertere Klimapolitik umzusetzen, den Kohleausstieg vorzuziehen und eine Mietpreisbremse durchzusetzen. Ob sich die Grünen und die FDP auf ein Konzept einigen können, das eine Balance zwischen einem dirigistisch lenkenden Staat und marktwirtschaftlichen Elementen schafft, erscheint ungewiss. Eine „Groko“ ist daher weiterhin nicht ausgeschlossen. Große strukturelle Reformen wie unter Schröder erscheinen unwahrscheinlich, da die Parteiprogramme der FDP und der Grünen zu unterschiedlich sind. Zukunftsinvestitionen in Bildung und in eine verbesserte digitale Infrastruktur sind mit beiden Parteiprogrammen vereinbar. Zudem stimmen die beiden Parteien zurecht überein, dass eine Entbürokratisierung angesichts langer Gerichts- und Verwaltungsverfahren längst überfällig ist, um das Wachstum in Deutschland zu stärken.

    Aus Sicht international anlegender Investoren hat die Rolle Deutschlands in den letzten Jahren beständig abgenommen. Das Gewicht von Deutschland in internationalen Aktienindizes wie dem MSCI World liegt derzeit unter 3% und ist damit geringer als das Gewicht von Apple (4,2%) und Microsoft (3,6%). Der Anteil von Deutschland am globalen Bruttoinlandsprodukt liegt unter 5%. Allein deshalb werden in den nächsten Tagen andere Themen, wie etwa die Immobilienkrise in China und die Diskussion um Inflation, Zinsen und Lieferengpässe wieder in den Mittelpunkt der Finanzmärkte treten.    

    Ganz unbedeutend ist die Wahl in Deutschland allerdings nicht. Eine lange Regierungsbildung in Deutschland führt zu einem Machtvakuum in Europa. Die Frage, ob sich Deutschland für eine tiefergehende finanzpolitische Integration mit weiteren Transfers zwischen den EU-Mitgliedstaaten entscheidet oder aber auf die Einhaltung der Kriterien des Vertrages von Maastricht und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Europa achtet, ist offen. Von dieser Entscheidung hängt ab, ob sich die Renditedifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten insbesondere in Phasen von Stress an den Finanzmärkten stark ausweiten oder nicht. Diese Entscheidung liegt nun aber nicht mehr in den Händen der Wählerinnen und Wähler.



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