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     1711  0 Kommentare Jetzt geht es los!

    Spekulation ertragreicher als Arbeit

    Gerade kam das Schreiben meiner Bank: Bis zum 2. November müssen alle Forderungen gegenüber Lehman Brothers beim Insolvenzgericht in New York angemeldet sein. Und dann geht es los mit der Abwicklung. Ich hatte mir im Januar für 1.800 Euro eine Nominalforderung gegenüber Lehman im Volumen von 150.000 Dollar gekauft. Und jetzt bin ich gespannt, was kommt. Bei der IOS-Abwicklung in den 80er Jahren war ich auch schon dabei. Da kam über lange Jahre immer wieder etwas herein, fast wie bei einer Rentenversicherung, so dass es im Endeffekt gar nicht so schlecht aussah.

    Ob einer meine Leser meiner damaligen Kaufempfehlung für Lehman Anleihen gefolgt ist? Auf jeden Fall sind die Relationen durchaus bizarr: 1,8 für 150 Mille bei nahezu unendlichem Zeithorizont. Eine verrückte Welt.

    Bizarr sind auch andere Relationen: An meinem letzten Buch „Taupunkte“, dem ersten meiner Bücher, das nicht mit der Börse zu tun hat, habe ich über ein Jahr gearbeitet, habe mit Ausnahme des Urlaubs jeden Tag mindestens sechs Stunden daran gesessen. Von meiner Börsenleserschaft sind davon über die entsprechenden Links bisher exakt sieben Exemplare gekauft worden. Bei 9,95 Euro pro Stück und einem Rabatt von Amazon von 55 Prozent macht das Autorenhonorar in Höhe von 5 Prozent vom Nettoverkaufswert also 22 Cent pro Buch aus. Für alle sieben Bücher sind das 1,54 Euro, bezogen auf eine Arbeitszeit von knapp 2.000 Stunden, was einen Arbeitslohn von etwa 0,08 Cents pro Stunde ergibt. Oder anders ausgedrückt: 8 Cent für jeweils 100 Stunden. Immerhin.

    Auf ganz andere Stundenlöhne komme ich hingegen am Aktienmarkt. Wenn ich nur an die große Position Deutsche Bank Aktien denke, die ich unter 20 Euro nachgekauft habe und die jetzt bei 50 stehen. Das sind 30 Euro Gewinn pro Aktie und selbst nach der Abgeltungssteuer noch 22,50 Euro. Die Entscheidung, diesen Kauf zu tätigen, hat ein paar Sekunden gedauert und die Abwicklung vielleicht fünf Minuten. Das macht einen Stundenlohn von 270 Euro nach Steuern – und das pro Aktie!

    Oder anders gerechnet: Mit nur einer einzigen Deutsche Bank Aktie habe ich mehr verdient als mit der Arbeit eines ganzen Jahres. Das sind wirklich verrückte Zeiten.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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