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    w:o-Faktencheck  3408  2 Kommentare Austritt oder Rauswurf - Welcher Grexit wäre juristisch machbar?

    Yanis Varoufakis wirft mit seiner Drohung, gegen einen Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone notfalls vor Gericht zu ziehen, eine zentrale Frage auf: Wäre ein Grexit juristisch überhaupt möglich? Wallstreet:online fasst die wichtigsten Punkte im Grexit-Faktencheck zusammen.

     

    Kommt der Grexit, ja oder nein? Der griechische Finanzminister betonte, Athen werde mit allen juristischen Mitteln darum kämpfen im Euro-Raum zu bleiben. „Unsere Mitgliedschaft ist nicht verhandelbar“, sagte Varoufakis im Interview mit der britischen Zeitung „Daily Telegraph“. „Die EU-Verträge haben keine Regelung für einen Ausstieg aus dem Euro, und wir weigern uns, diesen zu akzeptieren“ (Siehe: Varoufakis droht mit Grexit-Klage).

    Können die Euro-Partner Griechenland gegen seinen Willen aus der Euro-Zone werfen?

    Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander. „Es wird keinen Rausschmiss geben, weil es juristisch einfach unmöglich ist“, so der Europarechtler Matthias Ruffert gegenüber „Zeit Online“. Der Kölner Juraprofessor Norbert Horn hält in der „FAZ“ dagegen: Die Euro-Zone könne Griechenland nicht nur ausschließen, sie müsse es sogar. „Die Bundesregierung hat die Pflicht, zusammen mit den anderen Euro-Mitgliedsstaaten am Grexit mitzuwirken, um den Euro zu erhalten.“ Der Frankfurter Währungsrechtler Helmut Siekmann hält einen dauerhaften Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone genau wie Ruffert für unmöglich. Seiner Meinung nach könnte Athen lediglich für einen begrenzten Zeitraum seine Mitgliedrechte verlieren, ein Teilzeit-Grexit sozusagen. Fakt ist:

    Es gibt keine gesetzliche Grundlage für einen Austritt aus der Währungsunion

    „Der Euro ist mehr als eine Währung“, so das Mantra, das Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder zum Besten gibt. Und weil der Euro mehr als eine Währung ist, haben die Gründungsväter der Währungsunion einen Austritt schlicht nicht vorgesehen. Gleiches gilt für die Europäische Union insgesamt. Auch hier galt ein Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der EU lange Zeit für undenkbar. Die Regeln sowohl zur EU als auch zum Euro seien als „Einbahnstraßen“ angelegt, schreibt „Zeit Online“. Die Verträge regeln nur den Weg hinein, nicht aber den Weg hinaus.

    Kann ein Land demzufolge überhaupt austreten?

    Ja, kann es. Im Vertrag von Lissabon wird erstmals dezidiert die Möglichkeit eines Austritts in Betracht gezogen. In Artikel 50, Abs. 1 heißt es: „Jeder Mitgliedsstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.“ Aus der Europäischen Union wohlgemerkt. Das bringt uns zur nächsten Frage:

    Müsste Griechenland im Fall eines Grexits automatisch auch aus der EU austreten?

    Um zunächst noch einmal festzuhalten: Die europäischen Verträge sehen einzig und allein einen freiwilligen Austritt aus der EU vor. Griechenland könnte sich also dazu entschließen, nicht mehr länger Teil der Europäischen Union zu sein. Damit wären sie automatisch auch raus aus der Währungsunion. Umgekehrt ist die Frage, ob Griechenland aus dem Euro austreten aber trotzdem EU-Mitglied bleiben könnte, juristisch höchst umstritten. Horn meint: „Die Mitgliedschaft Griechenlands in der EU bliebe vom Grexit unberührt.“ Der Rechtswissenschaftler Reinhard Müller gibt in der „FAZ“ zu bedenken, dass die Europäische Zentralbank 2010 zu einem ganz anderen Schluss kam. Damals hieß es von Seiten der Notenbanker, ein Ausscheiden aus der Währungsunion ohne einen Austritt aus der EU sei nicht vorstellbar.

    Welche Szenarien sind denkbar?

    Szenario 1: Euro-Zone beschließt den Grexit auf Grundlage des Völkerrechts:
    Einige Experten argumentieren, die EU-Verträge gäben einen Grexit zwar nicht her, wohl aber das Völkerrecht. Sprich, wenn die EU-Verträge keine Regelungen bezüglich eines Austritts aufstellt, gilt automatisch das Völkerrecht. Danach kann ein Vertrag zwischen Staaten aufgekündigt werden, sofern ein Mitglied „schwere Vertragsverletzungen“ (Art. 60) oder eine „schwere Störung der Geschäftsgrundlage“ (Art. 62) begeht. Beides sei bei Griechenland der Fall, meint beispielsweise Horn. Auch Müller zieht diese Option in Betracht.

    Szenario 2: Die Verträge werden zugunsten eines Grexits geändert
    Theoretisch könnten die EU-Verträge jederzeit geändert und Regelungen bezüglich eines Austritts geschaffen werden. Dagegen spricht allerdings zum einen der langwierige Prozess – eine Änderung der Verträge würde mehrere Monate dauern. Zum anderen müssten alle Mitgliedsstaaten einer solchen Vertragsänderung zustimmen, also auch Griechenland. Und die Äußerungen von Varoufakis lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass Athen das tun würde.

    Szenario 3: Griechenland geht raus, um wieder reinzukommen
    Ähnlich wie beim zweiten Szenario gäbe es auch noch die Möglichkeit, dass Griechenland freiwillig aus der Euro-Zone austritt, aber dennoch Mitglied der EU bleibt. Dazu müsste das Land allerdings zunächst die EU verlassen, um die Mitgliedschaft dann gemäß Art. 49 des EU-Vertrags wieder neu zu beantragen. Die übrigen Mitgliedstaaten müssten einer Wiederaufnahme daraufhin ebenso zustimmen wie das Europaparlament. Da im Zuge dessen ein neues Abkommen zustande kommen würde, müssten außerdem auch die nationalen Parlamente, also auch der Bundestag, einer Rückkehr Griechenlands zustimmen. Darüber hinaus stehen noch Vorschläge im Raum, nach denen Griechenland auf das Stadium jener Mitgliedsstaaten zurückgestuft werden könnte, die zwar in der EU, nicht aber in der Währungsunion sind, erklärt der Berliner Europarechtler Prof. Christian Calliess gegenüber „heute online“.  Griechenland hätte dann sozusagen Euro-Kandidaten-Status.

    Szenario 4: EZB ermöglicht den Grexit durch die Hintertür
    So umstritten die Grexit-Frage ist, in einem Punkt scheinen sich die Kommentatoren einig zu sein: das Ökonomische siegt im Zweifel über das Juristische. Denn das was die EU-Verträge nicht hergeben, könnte die EZB quasi durch die Hintertür erreichen. Nämlich indem sie den griechischen Banken den Ela-Geldhahn zudreht (Lesen Sie hierzu: Mario Draghi hat es in der Hand – Stürzt er Griechenland ins Verderben?). Griechenland würde dann zwar technisch gesehen in der Euro-Zone bleiben, allerdings könnte die Mitgliedschaft für Athen schnell zum Albtraum werden, da es als solches laut EU-Vertrag keine Parallelwährung einführen dürfte. „Ohne Parallelwährung und ohne flüssige Euro allerdings würde dem Land ganz einfach ein Zahlungsmittel fehlen. Griechenland wäre dann eine Art  geldpolitischer failed state innerhalb der Euro-Zone.“ In diesem Fall wäre ein Grexit plötzlich auch für Athen durchaus attraktiv. Und dann? „Heute online“ fasst es so zusammen: „Wenn Griechenlands Austritt aus dem Euro ökonomisch notwendig wäre, würden Juristen ihn nicht verhindern können.“ Der „Tagesspiegel“ meint: „Ein Euro-Austritt würde also nicht rechtlich vonstatten gehen, sondern faktisch“.

     




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