Fratzscher kontert Sinn
Drachme als Heilmittel? Ein Irrglaube! - Deutschland würde bei Grexit draufzahlen
Zurück zur Drachme und alles wird gut? Von wegen, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher und warnt vor den Folgen eines Grexits. Nicht nur die Bundesregierung müsste dafür einen hohen Preis zahlen, sondern auch die deutschen Steuerzahler.
Wenn deutsche Medien die Einschätzung eines Ökonomen einholen wollen, gilt ihr erster Anruf meist Hans-Werner Sinn. Der ifo-Präsident ist die wohl dominanteste Persönlichkeit der deutschen Ökonomenzunft. Gerade in der Griechenland-Krise gibt sich Sinn wortgewaltiger denn je und lässt so den Eindruck entstehen, Deutschlands Experten stünden voll und ganz hinter einem Grexit. Stimmt aber nicht. Wieder einmal ist es Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der sich Sinns Deutungshoheit in den Weg stellt und klar sagt: „Es ist eine Illusion, im Grexit die Lösung zu sehen.“
Obwohl er den ifo-Präsidenten nicht beim Namen nennt, lesen sich Fratzschers Gastbeitrag in der „Welt“ und seine Aussagen gegenüber "dpa-AFX" wie eine direkte Replik auf dessen jüngste Aussagen. Sinn hatte am Dienstag in einem Beitrag für die „WirtschaftsWoche“ einmal mehr sein Credo dargelegt, wonach die Rückkehr zur Drachme und die damit verbundene Abwertung zu einem neuen griechischen Wirtschaftswunder führen würde (siehe: Sinn im griechischen Schlaraffenland – Zurück zur Drachme und alles wird gut).
Deutsche Steuerzahler müssten bei einem Grexit draufzahlen
In einer Schwachwährung die Lösung der Probleme Griechenlands zu sehen, sei "wirtschaftlicher Unfug", behauptet nun Fratzscher. „Wir Deutschen wissen allzu gut, dass man mit einer Weichwährung nicht Wohlstand schaffen kann.“ Genauso illusorisch sei die Behauptung, man könne Griechenland durch einen „temporären Euro-Austritt“ helfen. „Dies ist genauso wenig möglich, wie "etwas schwanger" zu sein. Entweder ist ein Land permanent im Euro, oder es ist es nicht“, schreibt der DIW-Präsident.
Auch in Bezug auf die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft kann sich Fratzscher einen Seitenhieb auf seinen ifo-Kollegen nicht verkneifen. Zwar sieht Fratzscher, genau wie Sinn, in der nicht wettbewerbsfähigen Wirtschaft sowie den „schlechten staatlichen Institutionen“ die beiden Hauptprobleme Griechenlands. Aber: „Ein Grexit würde keines dieser beiden lösen.“ Stattdessen hätte ein Austritt einen wirtschaftlicher Kollaps, einen starker Anstieg der Arbeitslosigkeit und große soziale Verwerfungen zur Folge. Also genau das Gegenteil von dem griechischen Schlaraffenland, wie Sinn es verspricht. Zumal ein Grexit nach Ansicht Fratzschers außerdem die Kosten für die deutschen Steuerzahler weiter in die Höhe schrauben würde.
„Deutschland hat mehr zu verlieren als viele andere“
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Entsprechend bezeichnet Fratzscher solch vermeintlich positiven Grexit-Szenarien wahlweise als „Illusion“, „Irrglaube“ oder „Irrlehre“ und macht deutlich: Ein Grexit würde sowohl Griechenland als auch Europa großen Schaden zufügen. „Wir Deutschen sollten uns nicht der Illusion hingeben, ein Ende der Verhandlungen und ein Grexit würden uns aus der Verantwortung für Griechenland und für Europa entlassen. Gerade ein Grexit würde die Verantwortung Deutschlands und Europas verstärken, die humanitäre Katastrophe in Griechenland zu lindern.“
Auch das ist eine Kernbotschaft des DIW-Chefs. Seiner Meinung nach müsste gerade Deutschland einen hohen politischen Preis für einen Grexit zahlen, weil das Scheitern der Rettungspolitik in erster Linie als Scheitern der deutschen Politik interpretiert werden würde. „Deutschland hat nicht nur eine besondere Verantwortung, sondern hat auch mehr als viele andere in der Krise zu verlieren.“
Aus diesem Grund sollte die Bundesregierung die Krise als Chance begreifen, die Geburtsfehler des Euro zu beseitigen sowie wichtige Reformen der Architektur Europas voranzutreiben. Konkret fordert Fratzscher Deutschland auf, die jüngsten Reformpläne der fünf Präsidenten aufzugreifen und umzusetzen (siehe: Reformpapier: Mit Bankenunion und Euro-Schatzamt zur Politischen Währungsunion). „Diese Chance gilt es jetzt zu nutzen“, so der DIW-Präsident. Was wohl Hans-Werner Sinn dazu sagt? Wir werden es sicher bald erfahren.