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     5211  0 Kommentare Gefährliche Insiderverkäufe

    Manchmal ist die Börse wirklich lustig. Wie hier die abstrusesten Gedanken an den Haaren herbeigezogen werden, um die eigene vorgefasste Meinung zu stützen, erinnert oft eher an die Psychatrie als an das wirkliche Leben. Heute Morgen lese ich, dass die Bayern-Wahl die Börse beflügeln soll, weil der Druck für Reformen im ganzen Lande dadurch viel stärker wäre als vorher. Man mag in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass jeder Frosch, der von einem Auto überfahren wird und damit zur Unfallursache wird, das Sozialprodukt steigert und damit nicht nur indirekt, sondern sogar direkt positiv auf die Börse wirkt.

    Dass Insiderverkäufe von Aktien ein negatives Zeichen für den Aktienmarkt sind, wissen wir spätestens seit dem Sommer des Jahres 2000. Damals haben sich die Firmenlenker noch zu guten Kursen massenhaft von ihren eigenen Aktien getrennt – und lagen völlig richtig damit. Heute registrieren wir wieder ein ähnlich hohes Verkaufsniveau. Die Quote der Käufe zu Verkäufen von Insidern liegt in den USA bei etwa 1:50.

    Das ist ein deutlich negatives Zeichen. Das muss zwar nicht heißen, dass der Markt jetzt sofort in den Keller geht, doch es ist ein sehr negatives Zeichen. Daran führt kein Weg vorbei. Wir müssen einfach registrieren, dass die Faktenlage schlecht ist und die Insider negativ gestimmt sind, wohingegen die Erwartungen der Banken, Medien und Anlegergemeinde positiv aussehen und die Psychologie sich sogar ganz extrem im positiven Terrain verfestigt hat. Diesen Zweispalt muss jeder Anleger aushalten. Da gibt es kein Schönreden, aber auch kein Schlechtreden. So ist es – und jeder muss sehen, was er daraus macht.

    Einige, gerade die Professionellen, kommen mit so etwas jedoch nicht klar. Denn um den Anlegern auch weiterhin Aktien zu verkaufen, benötigen sie ein spannungsfreies Bild. Folglich kann das, was nicht sein darf, natürlich auch nicht sein. Und dann wird die Medienmaschine in Bewegung gesetzt. So lese ich beispielsweise am Sonntag in der WAMS, dass die Insiderverkäufe von Analystenseite gar nicht unbedingt negativ gesehen werden. Schließlich müssten die Firmenlenker, so das Argument, von Zeit zu Zeit Aktien verkaufen und Optionen ausüben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

    Aha, sie müssen also leben. Womit bestreitet man seinen Lebensunterhalt? Nehmen wir ein einfaches Beispiel – Fischstäbchen. Am Wochenende hatte ich einen Riesenappetit auf Fischstäbchen und habe mir beim Kaufmann um die Ecke eine 10er-Packung für 1,59 Euro gekauft. Das reichte für meinen Lebensunterhalt am Samstag. Mal sehen, wie das bei anderen ist: Die Gesellschafter von SAP haben in den vergangenen Wochen für 15 Mio. Euro eigene Aktien auf den Markt gebracht, der Puma-Chef Jochen Zeitz für fünf Mio. Euro und Spitzenreiter Michael Dell alleine an einem Tag im August für 327 Mio. Dollar.

    Umgerechnet in Fischstäbchen sind das: Über 9,433 Millionen Packungen Fischstäbchen alleine für die SAP-Gesellschafter, konkret: 94.339.622 einzelne Fischstäbchen. Bei einem Gewicht von 30 g pro Stück sind das 2,8 Millionen kg Fischstäbchen. Und bei einem Brennwert von 827 kJ pro 100 g die Energie eines ganzen Kraftwerks. So viel brauchen also die SAP-Gesellschafter, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten! Wie merkwürdig komme ich mir dagegen mit meinen zehn verlorenen Fischstäbchen vor. Es ist wirklich eine Welt voller Wunder, in der wir leben.

    Ein Glück daher, dass wenigstens unsere cleveren Bank-Analysten uns immer wieder mit derartig wohlfeilen Information unterhalten, dass die Erde weiterhin eine Scheibe ist, man an der Börse problemlos reich werden kann und sein Geld dafür nur weiterhin den Bankberatern anvertrauen muss.


    berndniquet@t-online.de



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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