Marktkommentar
Allianz GI: Kapitalmarktbrief 09/2016 – Verschwommene Linien
Zweifellos: die Risiken haben zugenommen. Das überraschende Votum der Briten für einen „Brexit” ist ein Beispiel dafür, welche geopolitischen Unsicherheiten bestehen. Das ist aber nicht alles, meint Stefan Scheurer in seinem Kapitalmarktbrief.
Stefan Scheurer beleuchtet das aktuelle Umfeld um Brexit, expansive Geldpolitik und die Vorteile von Aktien
Zweifellos: die Risiken haben zugenommen. Das überraschende Votum der Briten für einen „Brexit” ist ein Beispiel dafür, welche geopolitischen Unsicherheiten bestehen. Aber die Anleger haben sich
davon nicht beirren lassen: Die Aktienkurse sind weiter angestiegen. Dabei wird der Optimismus in hohem Maße durch die umfangreichen geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen der großen Zentralbanken
gespeist.
In den vergangenen Monaten haben alle, die Bank of England (BoE), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan (BoJ), ihre quantitative Lockerungspolitik ausgeweitet und/oder ihre Leitzinsen gesenkt. Angesichts des anfälligen und sich tendenziell verlangsamenden Wachstums der Weltwirtschaft könnten gegebenenfalls weitere Stimulierungen erfolgen. Daher sind die Kosten einer Absicherung gegen einen möglichen Kursrückgang am Aktienmarkt deutlich geringer geworden. Der Volatilitätsindex (VIX) liegt in etwa auf dem Niveau von Anfang 2007 – also vor der Finanzkrise. Während vor der Finanzkrise die Zentralbanken (vorwiegend) „konventionelle” Instrumente einsetzten, kamen „unkonventionelle” Maßnahmen hinzu. Mittlerweile rentieren über 9 Bio. US-Dollar an Staatsanleihen mit einer negativen Rendite. Ein Novum in der Geschichte der Anleihen! Weder Krieg, Depression noch anhaltende Deflation haben die Anleihenrenditen in den letzten 5.000 Jahren ins Negative drücken können. So hat sich die Geldpolitik von konventionellen über unkonventionelle Schritte in unbekanntes Terrain vorgewagt.
Die Niedrig-/Negativzinsen verleiten im Gegenzug dazu, dass die Stimmen in Richtung Fiskalpolitik lauter werden. Japan hat bereits ein Fiskalpaket vorgestellt, während in
UK die Regierung ihr fiskalisches Sparprogramm im Zuge der Brexit-Entscheidung voraussichtlich zurücknehmen dürfte. In den USA sollte mit einer finanzpolitischen Lockerung 2017 gerechnet werden,
unabhängig wie die Präsidentenwahl im Herbst ausgeht. Im Euroraum werden die Auflagen des Stabilitäts- und Wachstumspakts deutlich flexibler interpretiert.
Ist der nächste Schritt jetzt „Helikoptergeld”? Die Diskussion darüber wird lauter. Dabei handelt es sich um die direkte Finanzierung der Staatsausgaben durch die Notenbank. Japan ist da auf jeden Fall schon
sehr weit. Doch Helikoptergeld hin oder her – die Fiskalpolitik scheint wieder expansiver zu werden bzw. die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik werden immer verschwommener.
Das Marktumfeld scheint die Staatsanleihenmärkte in diesem Kontext zu begünstigen, wobei sich allerdings das Rendite-Risiko-Profil deutlich verschlechtert hat – das Rückschlagpotenzial könnte sich
erhöhen. Aus „risikofreier Rendite” ist längst „Risiko ohne Rendite” geworden. Aktien sollten demnach weiterhin gegenüber Anleihen langfristig bevorzugt werden, auch wenn es aktuell einige
Belastungsfaktoren gibt, die zu einer höheren Volatilität führen könnten.
Eine klare Linie für Ihr Portfolio wünscht Ihnen
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Stefan Scheurer
Kapitalmarktbrief September 2016