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    Marktkommentar  1038  0 Kommentare Guido Barthels (ETHENEA): Versuch macht klug!

    Was die englische Regierung seit geraumer Zeit im Rahmen der Brexit-Verhandlung unternimmt, scheint jenseits von „sinnvoll“ zu sein.

    „Versuch macht klug“ heißt es im Volksmund. Demnach gilt direkt aufzugeben als wenig sinnvoll. Allerdings scheint das, was die englische Regierung seit geraumer Zeit im Rahmen der Brexit-Verhandlung mit der EU unternimmt, jenseits von „sinnvoll“ zu sein. Hierzu fällt uns ein Bonmot Albert Einsteins ein, welches lautet: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“  

    Ähnlich einem Hund, der verzweifelt versucht, einen viel zu langen Stock quer durch eine Tür zu tragen, gelingt es der Regierung May nicht, die EU davon zu überzeugen, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen bleibt und der Brexit trotzdem wie geplant stattfinden kann. Mittlerweile hat das britische Oberhaus abgestimmt und das EU-Austrittsgesetz wieder ans Unterhaus zurückgesandt mit der Änderung, dass Großbritannien innerhalb der Zollunion bleiben soll.

    Ein Verbleib in der Zollunion mit der EU hatte aber die Regierung May vehement abgelehnt. In ihrer Rede im Lancaster House im Januar 2017 machte sie deutlich, dass Großbritannien die EU komplett verlassen und endlich die Freiheit erlangen möchte, ihre eigenen Regeln aufstellen und eigene Handelsverträge abzuschließen. „You can’t have your cake and eat it too“ sagt man im Englischen, was in etwa bedeutet, dass man “nicht duschen kann, ohne nass zu werden.” Das britische Oberhaus scheint das mittlerweile erkannt zu haben. Jetzt fehlt noch das Unterhaus, aber dazu bedarf es sicherlich einer neuen Regierung.

    Nach dem Rücktritt der Innenministerin Amber Rudd Ende April steht die May-Regierung immer mehr im Abseits. Die anstehenden Kommunalwahlen am 3. Mai könnten bereits das Ende der Ära May einläuten. Weitere Abstimmungen im Parlament während des Wonnemonats Mai, in denen auch über den Änderungsantrag des Oberhauses beraten und abgestimmt werden muss, sollten genau beobachtet werden. Am 23. Juni, dem zweiten Jahrestag des Referendums, hat eine Bürgerbewegung zur großen Anti-Brexit-Demo aufgerufen und verlangt ein erneutes Referendum.

    Schließlich wird die Sitzung des Europäischen Rates am 28.-29. Juni von Großbritannien Lösungsvorschläge in der Grenzfrage zu Nordirland und Irland erwarten, die akzeptabel und realisierbar sind. Sollte es der Regierung May nicht gelingen, solche Vorschläge zu unterbreiten, besteht die Gefahr, dass die vereinbarte Übergangsfrist bis Ende 2020 hinfällig und damit der Vollzug eines harten Brexits am 29. März 2019 wahrscheinlicher wird. Bislang hat die EU immer wieder den Versuch Theresa Mays zurückgewiesen, den in der City of London ansässigen Finanzdienstleistern uneingeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip zu gewähren. Die Haltung der EU ist diesbezüglich sehr eindeutig. Wenn man den Zugang möchte, muss man sich auch den EU-Regeln unterwerfen und die Autorität der EU-Institutionen anerkennen. Und es gelten eben nicht Regeln, die so oder so ähnlich sind.

    Der Autor glaubt, dass die Sachzwänge irgendwann auch den größten Euroskeptiker bekehren werden und zumindest eine Regelung zugelassen wird, die einem ziemlich weichen Brexit entspricht: eine weitestgehende Zollunion und großzügige Freizügigkeit für EU Bürger. In dem Fall muss man sich natürlich schon die Frage gefallen lassen, warum es den Austritt dann überhaupt braucht. Schließlich scheint das Ergebnis des Referendums letzten Endes in der Gänze nur ein Versehen gewesen sein. Es wurde eine große Desinformationskampagne gefahren, die mit irreführenden Behauptungen wie „We send the EU £350 million a week, let’s fund our NHS instead. Vote leave. Let’s take back control.“¹ Stimmung machte. Die aktuelle Bürgerbewegung arbeitet mit ähnlichen Maßnahmen und behauptet, dass der Brexit 2 Milliarden Pfund pro Woche kosten würde!² Auch diese Behauptung stimmt nicht ganz, da man das von der Regierung geschätzte BIP in 2030, welches 30 % unter dem geschätzten BIP ohne Brexit liegt, einfach als Geldstrom pro Woche interpretiert. Plakativ, aber leider falsch.


    Grafik - BIP Wachstumsraten

    Grafik 1: BIP Wachstumsraten


    Grafik - Inflationsraten

    Grafik 2: Inflationsraten


    Tatsächlich muss man aber keine Taschenspielertricks bemühen, um die ökonomische Unsinnigkeit des Brexits zu belegen. Grafik 1 zeigt anschaulich, wie die Wachstumsrate der britischen Volkswirtschaft der in Deutschland und in Frankreich seit dem Referendum hinterherhinkt. Es ist ja auch irgendwie verständlich, dass Investitionen nur vorsichtig getätigt werden, solange große Unsicherheit über die Zukunft Großbritanniens besteht. Während das Wachstum im Königreich träge ist, haben die Inflationsraten eine eigene Dynamik entwickelt und sind auf Niveaus, die europäischen Zentralbankern Schweißperlen auf die Stirn treiben würden (siehe Grafik 2). Die Bank of England steht damit natürlich wieder vor einem für Großbritannien typischen geldpolitischen Dilemma: Stagflation wie in den 1970er Jahren.

    Der Grund des Inflationsanstiegs scheint der schwache Sterling zu sein, der im Anschluss an das verloren gegangene Referendum in 2016 deutlich an Wert gegenüber dem Euro und dem Dollar verlor (siehe Grafik 3). Seit sich der Wertverlust der Währung zum Teil wieder umgekehrt hat, fallen die Inflationsraten erneut. Möglicherweise ist dies ist jedoch nur vorübergehend.

    Grafik - Wechselkursbewegungen 

    Grafik 3: Wechselkursbewegungen


    Grafik: Reale Zehnjahres-Renditen

    Grafik 4: „Reale“ 10-Jahres Renditen


    Grafik - Relatve Entwicklung Aktienindizes


    Grafik 5: Relative Entwicklung der Aktienindizes


    Grafik - Immobilienpreisentwicklung


    Grafik 6: Immobilienpreisentwicklung



    Für Investoren ist Großbritannien allerdings in der jetzigen Situation eher schwierig. Bei den Renten kompensiert die Rendite genauso wenig die Inflation wie in Deutschland oder Frankreich. Real hat man selbst im 10-Jahres-Segment einen Wertverlust zu erwarten (siehe Grafik 4). Der englische Aktienindex FTSE hat zwar eine nicht unerfreuliche Entwicklung von plus 18 % seit dem Brexit-Referendum zu verzeichnen, aber der deutsche DAX und der französische CAC haben mehr als 4 % Vorsprung (siehe Grafik 5). Ein Blick auf Grafik 6 macht deutlich, dass zumindest im Großraum London die Immobilienpreisentwicklung nach phänomenalen Jahren aktuell zumindest einen Rücksetzer seit Jahresanfang hinnehmen muss. Aus dem Bekanntenkreis des Autors lässt sich diese Entwicklung bestätigen, da viele Kontinentaleuropäer Verkaufsabsichten hegen und zurück aufs Festland ziehen möchten. Zu groß ist für viele die aus dem Brexit resultierende Unsicherheit, als dass sie sich darauf einlassen wollen.

    Gemäß unserer Philosophie „Constantia Divitiarum. Die konstante Vermehrung des Vermögens.“ haben wir uns aufgrund dieser Unsicherheit entschieden, aktuell nur in geringem Umfang Titel in Sterling in unseren Portfolios zu führen.

    Wohin man auch schaut, die klaren Vorteile des Brexits für Großbritannien, die von den Hardlinern immer wieder postuliert wurden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als Fata Morgana. Man kann nur hoffen, dass sich Vernunft und Einsicht in Großbritannien durchsetzen und dieser ganze Mummenschanz abgeblasen wird. Den Autor würde es sehr freuen.



    ¹ „Wir geben £350 Millionen pro Woche an die EU. Lasst uns damit lieber unser Nationales Gesundheitssystem (NHS) finanzieren. Stimmt für den Austritt. Lasst uns die Kontrolle zurückerlangen.“ Bus-Werbung der „Brexiteers“.

    ² Bus-Werbung der aktuellen Brexit Gegner: „Brexit to cost £2,000 Millionen a week, says Government’s own report. Is it worth it?” – „Laut einem Regierungsbericht kostet der Brexit £2,000 Millionen pro Woche. Ist es das wert?“






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