Marktkommentar
Edouard Carmignac (Carmignac): Brief von Edouard Carmignac
Edouard Carmignac greift zur Feder und kommentiert aktuelle wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Herausforderungen.
08.04.2024 -
Der verhaltene Optimismus, den ich im gesamten Jahr 2023 und auch Anfang dieses Jahres in meinen Briefen an die Anleger zum Ausdruck brachte, wurde von den Aktienmärkten noch deutlich übertroffen.
Die Beurteilung überlasse ich Ihnen. Nach einem Plus von fast 10% im vierten Quartal setzten die weltweiten Börsen ihren Anstieg Anfang dieses Jahres im gleichen Tempo fort. Zum jetzigen Zeitpunkt
erscheint daher die Frage angebracht, wie groß das Potenzial der Märkte insgesamt ist. Die robuste Weltkonjunktur in Verbindung mit stabilen Realzinsen sollte zwar eine weiterhin robuste
Entwicklung risikoreicher Anlagen begünstigen, gleichzeitig ist es aber angebracht zu prüfen, ob die aktuellen Bewertungsniveaus die hartnäckigen Unsicherheiten berücksichtigen.
Die Tragfähigkeit der weltweit hohen Verschuldung ist nach wie vor eine der Hauptsorgen. Während der Höhepunkt des Konjunkturzyklus erreicht ist, beträgt das Haushaltsdefizit in den USA und
Frankreich 6,4% und 5,5% des BIP und die Staatsverschuldung liegt in beiden Ländern bei über 100% ihrer jährlichen Vermögensbildung. Daher ist es in einer Zeit, in der die Schmerzgrenze der
Bevölkerung in der westlichen Welt sehr niedrig ist, von wesentlicher Bedeutung, dass die Realzinsen, also die Zinsen, die nach Abzug der Inflation noch übrigbleiben, so niedrig wie möglich sind.
Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass sowohl Jerome Powell als auch Christine Lagarde eine baldige Lockung der Geldpolitik signalisieren, obwohl der Inflationsrückgang beiderseits
des Atlantiks den Zielen weit hinterherhinkt. Zudem macht der anhaltende Inflationsdruck, der der weiterhin angespannten Lage auf den Arbeitsmärkten und einem Preisanstieg bei bestimmten Rohstoffen
zuzuschreiben ist, die Aussicht auf eine Zinssenkung problematisch. Entweder entscheiden sich die Zentralbanken für eine Verschiebung der Senkung, womit das Wachstum geschwächt würde, oder sie
antizipieren einen bislang ungewissen Inflationsrückgang und senken die Zinsen verfrüht, womit sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen würden. Aus unserer Sicht sprechen sowohl die Anfälligkeit
des Wachstums in Europa als auch die US-Präsidentschaftswahl für die zweite Option.
Die Resilienz der Weltwirtschaft dürfte schon bald auf die Probe gestellt werden. Die Weltkonjunktur dürfte zwar auch weiterhin von akkommodierenden Haushaltspolitiken, einer wahrscheinlichen
Zinssenkung und den zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen für die chinesische Wirtschaft profitieren, doch die Kaufkraft der Verbraucher in den USA und Europa wird infolge des Anstiegs der
Rohstoffpreise und des allmählichen Schwindens der während der COVID-Pandemie aufgebauten Rücklagen weiter sinken.
Die geopolitischen Risiken flauen bei Weitem nicht ab, sondern setzen sich fest: Mit dem Frühling werden zunehmende Kampfhandlungen in der Ukraine befürchtet, der israelische Ministerpräsident
Netanjahu setzt seine hartnäckige Offensive in Gaza fort während der Iran die Destabilisierung im Nahen Osten vielerorts vorantreibt. Wir sind weiterhin der Ansicht, dass eine baldige Entspannung
illusorisch ist, halten aber den Gedanken, dass dank der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen beteiligten Parteien ein größerer Konflikt vermieden wird, nicht für abwegig.
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Wie sind die Marktaussichten? Solange die Zinsen nicht gesenkt werden, könnte die großzügige Bewertung der Aktienmärkte in Gefahr geraten, wenn sich das Wachstum verlangsamen sollte. Falls die
erwartete Zinssenkung durch die Zentralbanken nicht mit einem weiteren Inflationsrückgang einhergehen sollte, wären zudem steigende langfristige Zinsen – sowie sinkende Renditen langfristiger
Anleihen – zu befürchten. Vor diesem Hintergrund haben wir Aktien mit guter Perspektive, darunter ein wesentlicher Anteil Schlüsselakteure der KI-Branche, aufgestockt und langfristige
festverzinsliche Anleihen deutlich verringert. Unser Gold-Exposure profitiert von weiterhin lockeren Haushaltspolitiken, die weniger von restriktiven Geldpolitiken behindert werden, und
den zunehmenden geopolitischen Risiken.