Venezuela und linke Doppelmoral
"Hoch die internationale Solidarität"?
Linke Intellektuelle und Politiker erzählten uns immer wieder, wie wichtig "internationale Solidarität" mit den Unterdrückten, Hungernden und Flüchtenden dieser Welt sei. Für Venezuela gilt das nicht. Hier pochen sie auf einmal auf dem Prinzip der "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates".
Wenn die USA in Venezuela eingreifen, dürfte ein Sturm des Protestes losgehen. Weltweit werden sich die Autokraten in China, Russland und der Türkei mit Maduro solidarisieren - zeig mir deine Freunde, und ich sag dir, wer du bist… In Deutschland wird es eine Welle der Empörung unter linken Politikern und Intellektuellen geben.
Die Tatsachen: In Venezuela leidet das Volk seit Jahren Hunger. Im Schnitt hat jeder Bewohner elf Kilogramm Körpergewicht verloren. Die Gesundheitsversorgung ist komplett zusammengebrochen. Täglich sterben Menschen in den Krankenhäusern, weil es keine Medikamente mehr gibt. Die Inflationsrate liegt - man weiß es nicht genau - vielleicht bei 1 Million Prozent. Jedenfalls ist sie höher als in jedem anderen Land der Welt. Mehr als drei Millionen Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung. Es ist die größte Fluchtbewegung in Lateinamerika, an die ich mich erinnern kann.
Linke Politiker auf der ganzen Welt reden sonst ständig davon, wie wichtig es sei, "Fluchtursachen zu beseitigen". Sie zeigten sich solidarisch mit den Hungernden und Geknechteten - aber nur, wenn diese auf der "richtigen" Seite standen. Und nun? Nun schwadronieren sie vom "Prinzip der Nichteinmischung". Linke Doppelmoral: In Bezug auf Südafrika in der Zeit der Apartheid hat man dieses Argument von Linken nie gehört. Da war die internationale Solidarität im Kampf gegen das Regime unstrittig.
Die Hungernden und Geknechteten in Venezuela haben einfach das Pech, vom falschen, nämlich von einem linken Regime, unterdrückt zu werden. Wäre es ein rechtes Regime, dann würde kein linker Politiker und Intellektueller die Prinzipien der "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" hochhalten.
Der "selbsternannte" Präsident
Achten Sie mal darauf: Die deutschen Medien erwähnen den Namen des Interimspräsidenten Juan Guaidó nie, ohne das Wort "selbsternannt" hinzuzufügen. In den US-Nachrichten findet sich dieser
Sprachgebrauch nicht. Guaidó, der von den meisten demokratischen Ländern anerkannt wird, ist wenigstens vom Parlament in Venezuela (das aus der letzten freien Wahl hervorging) gewählt worden.
Zynisch ist der Hinweis von linken Politikern, Guaidó könne sich nicht auf eine entsprechende Bestimmung der Verfassung von Venezuela berufen, da diese vorsehe, dass es 30 Tagen nach Ernennung
eines Interimspräsidenten zu Neuwahlen kommen müsse. Neuwahlen heute? Unter der Diktatur Maduros? In einer Situation, da mehr als 10 Prozent der Bevölkerung aus dem Land geflüchtet sind?