Good bye oder Good Buy? - Seite 2
Unterbewertet oder nicht?
Tja, aber nur unter der Voraussetzung, dass man dieser Angabe auch trauen kann. Und genau daran habe ich so meine Zweifel. Die Helaba, die diesen Wert veröffentlicht hat, bezieht sich dabei auf die üblichen Analystenschätzungen für die kommenden 12 Monate, die aus den einschlägigen Finanzinformationssystem von Thomson Reuters oder Bloomberg stammen.
Ich habe das mal überschlagen: Am 6. Februar lag demnach das DAX-KGV bei 14,4 und der DAX stand bei 13574,82 Punkten. Daraus errechnet sich ein (hypothetischer) „Gewinn pro Aktie“ für den DAX von 942,70 Euro. Am 12. März stand der DAX dagegen bei 9161,13 Punkten und soll besagtes KGV von 10,2 gehabt haben. Dann läge der „Gewinn pro Aktie“ bei 898,15 Euro.
Die Analysten haben also die DAX-Gewinne seitdem und angesichts der Corona-Krise um sage und schreibe 4,7 % reduziert. Für den S&P 500 kommt man nach der gleichen Methode auf ein Minus von 0,4 % (sic!), das die Analysten bisher berücksichtigt haben. Diese Größenordnung für den S&P 500 fand ich durch andere Quellen bestätigt. Und nun frage ich Sie: Halten Sie diesen (geringen) Gewinnrückgänge für realistisch? Oder kommt doch noch was? Und wenn da noch was kommt, also der Gewinn noch weiter sinkt, steigt auch wieder das KGV.
Gewinnrückgang vs. Nachholeffekte
Bleiben wir beim DAX: Den Kursverlauf vom Freitag – das Scheitern an der 10.000-Punkte-Marke interpretiere ich so, dass die Investoren mit Gewinneinbußen der DAX-Unternehmen rechnen, die eben keine 5-stelligen Kursniveaus mehr rechtfertigen. Falls sie die DAX-Bewertung von Anfang Februar als fair ansahen, dann haben sie jetzt also Gewinnabschläge in Höhe der Kursverluste (ca. 30 %) eingepreist.
Die Frage ist also: Welcher Gewinnrückgang ist für den DAX in der Corona-Krise realistischer – 4,7 % oder 30 %? Aktuell sieht es so aus, als würden die Vorsichtsmaßnahmen mindestens einen Monat anhalten. Und selbst, wenn dann tatsächlich alles vorbei ist, dürften die Nachwirkungen dafür sorgen, dass die Konjunkturerholung zunächst noch gedämpft verläuft.
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Die Nachholeffekte, auf die viele Ökonomen und Anleger hoffen, sind zudem mit Vorsicht zu genießen. Wie formulierte es ein Kollege neulich: Ausgefallene Flüge kann man nicht aufholen und nicht getrunkenes Bier kann man nicht nachtrinken (obwohl ein anderer Kollege sich anbot, letzteres zumindest zu versuchen…).