60 deutsche Firmen arbeiten an einer Corona-Lösung
Branche profitiert von “BioNTech-Effekt”–Doch die Masse der Unternehmen bleibt auf der Strecke
Ob Impfstoff, Therapie oder Diagnosetest: Mehr als 60 Biotech-Unternehmen arbeiten in Deutschland derzeit an Corona-Lösungen. Doch schon bevor die aktuelle Krise die Branche ins Rampenlicht rückte, war der Biotech-Sektor klar auf Wachstumskurs. Das zeigen Zahlen aus dem Biotech-Report der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY).
Die Branche habe schnell und flexibel auf die aktuelle Corona-Pandemie reagiert, sagte Oliver Schacht, Präsident des Branchenverbandes BIO Deutschland, bei der Vorstellung des Reports. „Viele kleine Unternehmen haben ihr komplettes Forschung- und Entwicklungsportfolio umgestellt, und bieten nun Testkapazitäten für die Corona-Forschung an.“
Knapp 1,8 Milliarden Euro wurden 2019 in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert – 21 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Umsatz kletterte im gleichen Zeitraum um zehn Prozent auf 4,9 Milliarden Euro. „Insbesondere die enorme Steigerung der F&E-Ausgaben ist ein gutes Zeichen”, sagte der Studienautor und Leiter des deutschen Life Science Centers von EY, Siegfried Bialojan. „Denn in der Vergangenheit ist es der deutschen Biotechnologie-Branche zu selten gelungen, die vorhandenen Pferdestärken auf die Straße zu bringen. Sprich: Innovative Ideen in konkrete Anwendungen umzusetzen.” Besonders die Corona-Krise zeige, wie wichtig es ist, gute Ideen möglichst schnell an die Patienten zu bringen, sagte Bialojan.
Der Aufschwung ist auch einem ausgeprägten “BioNTech-Effekt” zu verdanken. Das Mainzer Unternehmen, das vor Kurzem die Genehmigung für einen Corona-Impfstoff-Test erhielt, war im Oktober 2019 erfolgreich an die Börse gegangen und hatte 141 Millionen Euro eingesammelt. Der Erfolg des Unternehmens riss die ganze Branche mit. 61 Prozent des 2019 investierten Risikokapitals entfielen laut EY-Report auf BioNTech.
Gleichzeitg zeigt BioNTechs Stärke der Branche und dem Standort Deutschland die eigenen Schwachstellen auf. Ein Börsengang in den USA scheint für viele hoffnungsvolle Firmen attraktiver, erklärte Studienautor Bialojan. „Wieder einmal zeigt sich das alte Problem, dass Kapital vor allem einzelnen Leuchttürmen zu Gute kommt – nach Abzug der Ausnahmefinanzierungen bleibt für die Gesamtbranche nur ein eher bescheidener Betrag übrig. Die beiden Börsengänge fanden zudem in den USA statt und nicht in Deutschland. Nach wie vor fehlt hierzulande ein in der Breite funktionierendes Kapitalökosystem. Insbesondere in den USA können Biotech-Unternehmen mit einer höheren Visibilität auf mehr Risikokapital und bessere Börsenverläufe hoffen.“
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Biotech-Unternehmen stemmen enorme Kosten durch die Forschung und Entwicklung kostspieliger Therapien. Startups müssten deshalb schon früh an die Hand genommen werden, um sich auch unternehmerisch solide aufzustellen, argumentiert Siegfried Bialojan. Das würde das Risiko reduzieren und gleichzeitig neue Gründer motivieren.
Genaue Prognosen für das laufende Jahr wollen die Branchenvertreter zwar noch nicht abgeben, doch ein Corona-Impfstoff aus Deutschland würde das internationale Ansehen der deutschen Biotech-Branche neuen Schub verleihen. “Sollte einem deutschen Unternehmen tatsächlich der Durchbruch gelingen, könnte das der Branche zu einem weiteren Wachstumsschub verhelfen”, glaubt Oliver Schacht.
Autor: Julian Schick, wallstreet:online-Zentralredaktion