checkAd

    Marktkommentar  121  0 Kommentare Prof. Dr. Jan Viebig (ODDO BHF): Notenbanken - "Don't fight the Fed"

    Beide Notenbanken betonen derzeit, dass die aktuelle Inflationsentwicklung und das wirtschaftliche Umfeld keine Entwarnung geben.

    18.11.2022 - Explodierende Inflationsraten haben die Notenbanken der großen Industrieländer in diesem Jahr zu einem scharfen Kurswechsel gezwungen. Im Jahresverlauf addieren sich die Zinserhöhungen in den USA bisher auf 375 Basispunkte, im Euroraum auf 200 Basispunkte.1 Wenn sich die Notenbanker beider Zentralbanken Mitte der nächsten Woche zu ihren letzten Treffen des Jahres zusammenfinden, werden sie ein weiteres Mal an der Zinsschraube drehen.2 Der US-Leitzins wird in der nächsten Woche aller Voraussicht nach um 50 Basispunkte nach oben geschleust. Das Zielband würde damit 4,25 bis 4,50% erreichen, das Tempo der Erhöhungen nach vier 75bp-Schritten erstmals vermindert. Die EZB gibt sich hinsichtlich der Schrittgröße noch etwas bedeckt, scheint das Tempo der Zinserhöhungen aber ebenfalls auf 50bp drosseln zu wollen.3 Damit würde der Einlagensatz der EZB zum Jahresende bei 2,00%, der Hauptrefinanzierungssatz bei 2,50% stehen. Langsamere Zinserhöhungen bedeuten jedoch nicht, dass der Zinserhöhungszyklus bereits zu Ende ist. Beide Notenbanken betonen derzeit, dass die aktuelle Inflationsentwicklung und das wirtschaftliche Umfeld keine Entwarnung geben.

    Die Inflationsraten in den USA scheinen ihren Höhepunkt im Sommer überschritten zu haben. Und auch die Inflationsrate für den Euroraum war im November erstmals seit Mitte 2021 rückläufig. Die Inflation wird stark von der Energiepreisentwicklung geprägt. Schaut man auf die aktuellen Großhandelspreise und die Terminmärkte, dann spricht einiges dafür, dass die Energiepreisentwicklung im Jahr 2023 deutlich weniger preistreibend ausfallen wird als 2022. Dennoch werden die tatsächlichen Inflationsraten auch in 2023 weit über den Zielvorstellungen der Notenbanken liegen. Wir erwarten für Deutschland beispielsweise eine Inflationsrate von über 7% im nächsten Jahr. Dies ist immer noch 3,5x so hoch wie die Zielmarke der EZB in Höhe von 2%.

    Der Deflator der persönlichen Konsumausgaben ohne Energie und Nahrungsmittel („Kernrate“) bewegt sich in den USA seit Ende letzten Jahres um 5% und zeigt bislang keine Neigung nach unten.4 In einem Vortrag von Ende November weist Fed-Chef Jerome Powell explizit darauf hin, dass vor allem in den Kernbereichen „Wohnen“ und „andere Dienstleistungen“ bestenfalls Ansätze einer Beruhigung zu erkennen sind. 5 Die Lohnentwicklung beispielsweise, die die Preisentwicklung bei den Dienstleistungen prägt, entwickelt sich im Jahresverlauf 2022 ungebrochen dynamisch. Zudem entwickelten sich die preisbereinigten Konsumausgaben in den USA recht robust. Und der ISM-Index zeigt für das nicht-verarbeitende Gewerbe eine Expansion an.  Passend dazu stellt Powell in seiner Rede Ende November fest: „Trotz einiger vielversprechender Entwicklungen haben wir bis zur Wiederherstellung der Preisstabilität noch einen langen Weg zu gehen.“6

    Die Märkte rechnen derzeit damit, dass der US-Leitzins im Laufe des zweiten Quartals 2023 bei knapp unter 5% seinen zyklischen Höhepunkt erreichen wird. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass im Februar und März 2023 noch zwei kleine Erhöhungen von jeweils 25bp vorgenommen werden. Angesichts der hohen Inflation bleiben wir jedoch skeptisch, dass es damit getan sein wird. In unserem Basisszenario dürfte der Notenbanksatz in den USA über die 5%-Marke hinaus erhöht werden und auf diesem Niveau in 2023 verbleiben.

    In Europa verorten die Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit den Zinshöhepunkt etwas unterhalb von 3%. Der Rückgang der Gesamtinflationsrate dürfte sich in Europa allerdings merklich langsamer vollziehen als in den USA. Anders als in den USA sind die Erzeugerpreise in Europa zuletzt um über 40% gestiegen. Hohe Erzeugerpreise überwälzen sich typischerweise zeitverzögert auf die Verbraucherpreise. Wir gehen momentan davon aus, dass der Einlagensatz im Laufe des nächsten Jahres auf über 3% angehoben werden wird.

    Neben den Zinserhöhungen stehen andere Entscheidungen der europäischen Notenbank an, die oftmals übersehen werden, aber einen großen Einfluss auf die Finanzmärkte haben. Der EZB Rat wird in der kommenden Woche darüber entscheiden, wie die EZB ihre enorm hohen Anlagebestände zurückführen wird. In den USA ist die Federal Reserve bereits dazu übergegangen, die stark gestiegenen Anleihebestände von zuletzt 8,3 Billionen US Dollar Monat für Monat um 95 Mrd US Dollar abzubauen. Anders als die Fed bleibt die EZB bei der Reduzierung ihrer ebenfalls rekordhohen Anleihebestände weiterhin vage. Es soll vorerst nur um die konzeptionelle Vorbereitung eines „Quantitative Tightenings“ gehen 7 Nach Ausführungen des Chefvolkswirts der EZB, Philip Lane, will die EZB wohl keine Verkäufe vornehmen, sondern die Bestände entsprechend der Fälligkeiten abschmelzen lassen. Wir erhoffen uns eine klarere Kommunikation der EZB dazu nächste Woche. Der Grund für die Zurückhaltung der EZB bei der Reduzierung ihrer Anleihebestände ist offensichtlich, dass ein rascher Verkauf von Anleihen zu einer Renditeausweitung italienischer Anleihen und eine Belastung auch für andere hochverschuldete EU-Mitgliedstaaten werden könnte. Und an hochverschuldeten Staaten herrscht kein Mangel in der Eurozone.

    Steigende Zinsen und die Rückführung der Anlagebestände durch die Notenbanken sind zentrale Risiken für Eigentümer langlaufender Staatsanleihen. Die Zinsstrukturkurve steht bereits wieder auf dem Kopf. In den USA sind die 2 jährigen Zinsen mit rund 4,3 bereits deutlich höher als die 10 jährigen Zinsen in Höhe von rund 3,5. Der Unterschied zwischen den 2-jährigen und den 10-jährigen Zinsen in den USA ist derzeit so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. In den letzten 50 Jahren war eine inverse Zinsstrukturkurve ein verlässlicher Indikator für eine Rezession. Die Märkte wetten darauf, dass die Fed die Zinsen bereits im Jahr 2023 aufgrund der zu erwartenden Rezession wieder senken wird. Wenn sie sich da nicht täuschen. Fällt die Rezession in den USA - wie die Mehrzahl der Ökonomen derzeit erwartet- milde aus, dann werden die Leitzinsen in einem Stagflationsszenario länger hoch bleiben, als es die Märkte derzeit erwarten.

    Unsere Anlagepolitik bleibt klar Wir halten die Duration weiter kurz, da wir von weiteren Leitzinserhöhungen durch die Zentralbanken ausgehen. "Don‘t fight the Fed". Zudem investieren wir verstärkt in Unternehmensanleihen mit kurzen Laufzeiten, da diese bereits wieder interessante Renditen aufweisen. Unternehmensanleihen sind oftmals dann interessant, wenn eine Rezession begonnen hat, die Renditeaufschläge bereits stark gestiegen sind und mögliche Kreditausfälle bereits eingepreist sind. Das Jahr 2023 könnte zu einem interessanten Jahr werden für die Eigner von Unternehmensanleihen angesichts der zuletzt stark gestiegenen Renditeaufschläge. Wo Risiken sind, da gibt es halt immer auch Chancen

    1) 100 Basispunkte (bp) entsprechen 1 Prozentpunkt, 1bp entspricht 1/100 Prozentpunkt.
    2) Federal Open Market Committee (FOMC) am 13./14.12.2022, Monetary Policy Council der EZB am 15.12.2022
    3) Europäische Zentralbank, Interview von Philip Lane mit Milano Finanza , 6. Dezember 2022; “The point I am making is that when we take future interest rate decisions, including in December, we should take into account the scale of what we have already done. So the basis for the decision will be different.“ different.““The higher starting point is one dimension of the debate, but of course in terms of the wider debate we will have to look at the overall outlook.”
    4) Die Fed bevorzugt den Deflator der persönlichen Konsumausgaben (PCE Deflator ) gegenüber dem gängigeren und früher verfügbaren Verbraucherpreisindex; auch das Inflationsziel ist für den PCE Deflator formuliert; die Deflator basierte Inflationsrate ist normalerweise wenige Zehntel niedriger als die entsprechende CPI basierte Rate.
    5) Federal Reserve Board, Speech by Chair Powell on Inflation and the labor market, 30 November 2022
    6) ebenda , eigene Übersetzung . „Despite some promising developments, we have a long way to go in
    restoring price stability.”
    7) Als „Quantitative Tightening “ oder „Quantitative Straffung“ wird die systematische Verkürzung der Notenbankbilanz insb. durch Verringerung von Anleihebeständen bezeichnet. Zu den Überlegungen der EZB vergleiche: Europäische Zentralbank, Interview von Philip Lane mit Milano Finanza, 6. Dezember 2022






    Asset Standard
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen
    AssetStandard ist das führende Portal für Vermögensverwaltende Produkte in Deutschland. Auf www.assetstandard.com werden alle Daten, Dokumente und Informationen zu diesem wachsenden Marktsegment gebündelt. Einheitliche Standards ermöglichen einzigartige Vergleiche zu den Anlageprodukten. Das Portal beinhaltet umfassende Recherche-, Analyse- und Informationsmöglichkeiten bis hin zum Asset Manager eines einzelnen Produkts.
    Mehr anzeigen

    Verfasst von Asset Standard
    Marktkommentar Prof. Dr. Jan Viebig (ODDO BHF): Notenbanken - "Don't fight the Fed" Beide Notenbanken betonen derzeit, dass die aktuelle Inflationsentwicklung und das wirtschaftliche Umfeld keine Entwarnung geben.