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     2033  0 Kommentare Carpaccio von Rügener Schwänen


    Es ist herrlich, Börsianer zu sein

    Gerade komme ich von der vorpommerschen Ostseeküste zurück. Habe die Schwärme von Zugvögeln beobachtet, wie in jedem Jahr. Wie unspektakulär doch die Realität gegenüber dem Fernsehen ist. Wie harmlos dieser kleine Ausschnitt, den wir mit eigenen Augen sehen und mit unseren Sinnen wahrnehmen, gegenüber der konzentrierten Verdichtung, die uns die Medien liefern. Plötzlich wird die ganze Welt in einem Punkt vereint. Und nichts anderes zählt mehr. Man ist gefangen – ein Draußen existiert nicht mehr.

    Jetzt bin ich glücklicherweise wieder Börsianer. Es ist herrlich, Börsianer zu sein. Hier muss man sich zwar stets über alles Sorgen machen, aber nicht wirklich. Nichts kann einen Börsianer wirklich bedrücken, denn er kann ja stets seine Position aufgeben und die Seite wechseln. Eine große Katastrophe? Wie schrecklich! Eine große Katastrophe? Wie herrlich! Mag sie nur schnell und gründlich kommen!

    Markt und Börse sind denn auch der tatsächliche Triumph des Westens. Alles hat seinen Preis – und jeder Preis vereinigt Alles. Ein Moslem kann nicht so schnell die Seite wechseln. Ein Börsianer hingegen schafft das durchaus täglich mehrmals, wenn er es will. Zudem gibt es an Märkten keine Worte und keine Bilder – und schon gar keine Karikaturen. Zwar malen manche Menschen hier auch Bilder, doch das eher mit bescheidenem Erfolg. Der Markt kennt nur Zahlen und hinterlässt in der Mitte ein großes Vakuum. Das ist der große Erfolg des Westens.

    Doch dann kommen immer wieder Menschen, die glauben, man könne die Probleme nicht mit Ökonomismus lösen. Wer allerdings einmal von den alten Fesseln befreit ist, kann nicht mehr eingefangen werden. Neue Werte gibt es nur mit neuen Menschen. Gerade wir Deutschen sollten derartige Dinge nicht einmal mehr denken, denke ich.

    „Warum besitzen Restaurants eigentlich keine Schweine mehr, die die Reste vertilgen?“ frage ich den Chef des Strandrestaurants. Er sagt, die hygienischen Anforderungen seien viel zu hoch, um so etwas zu praktizieren. Es ist eine merkwürdige Zeit, in der wir leben. Die Regulierung wächst mindestens so schnell wie der Markt selbst. Also: Du bist Deutschland! Da siehste, Du bist angekettet! (Dazu brauchst du gar keine Religion mehr!)

    Aber was soll es. Jetzt erst einmal den Dax auf die 6.000 Punkte und dann ein schönes Festessen zur Feier: Zuerst ein Carpaccio von Rügener Schwänen. Und dann Schweinefleisch satt. Bis zum Abwinken.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Carpaccio von Rügener Schwänen Es ist herrlich, Börsianer zu sein Gerade komme ich von der vorpommerschen Ostseeküste zurück. Habe die Schwärme von Zugvögeln beobachtet, wie in jedem Jahr. Wie unspektakulär doch die Realität gegenüber dem Fernsehen ist. Wie harmlos …