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     1728  0 Kommentare 945 Mrd. Dollar! Brutto oder netto?


    Kinderfernsehen – überall

    Es ist ein immer wiederkehrendes und richtiggehend gespenstisches Ritual. Da wird von irgendwelchen Spezialisten eine Zahl errechnet und veröffentlich. Anschließend geistert diese Zahl durch die Medien, alle Welt erschrickt und ängstigt sich, doch niemand versteht wirklich etwas. Was freilich keiner zugibt, so dass diese Zahl unhinterfragt bleibt und jetzt eben einfach „Tatsache“ oder „Fakt“ weiter besteht. So funktioniert unsere Welt.

    In dieser Woche war es der Internationale Währungsfonds, der mit seiner Festsstellung, die gegenwärtige Finanzkrise werde „Kosten“ und „Verluste“ in Höhe von mindestens 945 Milliarden bringen, die unverständigen Durchschnittsjournalisten und damit auch die Weltöffentlichkeit schreckte.

    Überall wird diese Zahl kolportiert, von der Tagesschau über die Bild-Zeitung bis hin zu den Logo-Nachrichten im Kinderprogramm. Doch hat eigentlich einmal jemand gefragt, was diese Zahl denn überhaupt bedeuten könnte? Ist sie brutto oder netto? Werden wir als Gesamtheit nun um 945 Milliarden Dollar ärmer? Oder wird überhaupt jemand ärmer? Stellt die gesamte Finanzkrise vielleicht nur einen großem Umverteilungsprozess dar, in dem die einen um 945 Milliarden ärmer, die anderen jedoch um 945 Milliarden reicher werden. Sehr merkwürdig, dass man nicht eine einzige Überlegung dazu liest oder hört.

    Ich denke, man muss zwei Aspekte sehr klar unterscheiden:

    (1) Wenn im Zuge einer Finanzkrise die Aktienkurse fallen, dann stellt das einen Verlust an Nettovermögen in gleicher Höhe dar. Die Gemeinschaft, die Volkswirtschaft als Ganzes, ist jetzt um diesen Betrag ärmer. Es ist Vermögen vernichtet worden. Gleiches gilt auch, wenn Anleihen oder sonstige Schuldpapiere Kursverluste erleiden, aber dennoch zum Nennwert zurückgezahlt werden. Hier werden die Halter temporär ärmer, gleichzeitig jedoch niemand reicher. Und es gilt zu überlegen, ob hier tatsächlich ein Schaden vorliegt. Ist es nicht vielmehr als positiv zu beurteilen, wenn eine Blase platzt und die Vermögensbewertung wieder auf ein realistisches Maß sinkt?

    (2) Völlig anders sieht es hingegen aus, wenn Schuldpapiere wertlos werden und nicht zurück gezahlt werden. Hier handelt es sich zwar ebenfalls um einen Rückgang des Bruttovermögens, das Nettovermögen einer Volkswirtschaft wird dadurch jedoch nicht angetastet. Denn es werden sowohl die Guthaben ausgebucht wie die ihnen gegenüber stehenden Schulden. Das Vermögen verkleinert sich, die Schulden jedoch auch. Nettoeffekt: null. Aus dieser Tatsache beziehen Finanzkrisen ja auch stets ihren bestechenden Charme und dauerhaften Nutzen.

    Kompliziert wird es nun allerdings, die sozialen Kosten einer derartigen Pleitewelle zu bewerten und zu messen. Denn auf der reinen Vermögensebene passiert hier zwar rein netto betrachtet nichts, der damit verbundene Zusammenbruch von Firmen kostet jedoch Arbeitsplätze und tangiert andere Unternehmen in ihrer Funktion und Finanzierung negativ.

    Das jedoch ist mit den 945 Milliarden nicht gemeint. Hier ging es wohl zunächst einmal darum, die Dummen mit einer dumme Zahl auf dumme Art und Weise vor etwas zu warnen, was sie letztlich gar nicht beeinflussen können. Die Publikation des IWF stellt also letztlich nichts anderes dar, als wolle man einen Tischtennisball durch Zitronensaft vor einem gefräßigen Löwen warnen. Kinderfernsehen also, überall.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    945 Mrd. Dollar! Brutto oder netto? Kinderfernsehen – überall Es ist ein immer wiederkehrendes und richtiggehend gespenstisches Ritual. Da wird von irgendwelchen Spezialisten eine Zahl errechnet und veröffentlich. Anschließend geistert diese Zahl durch die Medien, alle …