Interview Rechtsanwalt Kaltmeyer
PROKON-Insolvenz – Chancen der Anleger auf Schadenersatz
Im ersten Teil beleuchteten wir die Zahlen von Prokon und den eigenen Anspruch des Windkraftunternehmens PROKON an die Transparenz. Die vom Unternehmen kommunizierten Zahlen scheinen nur auf den ersten Blick transparent. Siehe Artikel: Prokon-Genussrechte wahrscheinlich nichts Wert - Für Anleger höchste Zeit zu handeln.
Lesen Sie im zweiten Teil ein Interview mit Rechtsanwalt Christoph Kaltmeyer von der Kanzlei FEIL KALTMEYER aus Berlin. wallstreet:online befragte den Experten für Kapitalanlagerecht zu den Besonderheiten der PROKON-Insolvenz. Was können Anleger jetzt tun, um nicht nachrangig behandelt zu werden? Welche Ansatzpunkte für mögliche Schadenersatzansprüche sieht er aus juristischer Sicht? Gibt es Erkenntnisse, dass ein Schneeballsystem betrieben wurde?
w:o Anlegerschutz: Herr Kaltmeyer, was ist das besondere an der PROKON Insolvenz?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Das besondere an der PROKON-Insolvenz ist nicht nur die Dimension des Falls, sondern auch der Umstand, dass dieses Verfahren für die Anleger trotz der Insolvenz besondere Chancen bietet, doch noch ihr Geld zurückzubekommen. Während üblicherweise in einem Insolvenzverfahren die normalen Insolvenzgläubiger lediglich eine Quote von ca. 3 Prozent erhalten und damit quasi einen Totalausfall ihres eingesetzten Kapitals zu erleiden haben, bestehen in diesem Verfahren für die normalen - also nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger - noch erhebliche Chancen, dass sie einen Großteil oder sogar ihr gesamtes eingesetztes Kapital zurückerhalten. Anleger, die ihren Anspruch auf das Genussrechtskapital als normale Insolvenzforderung geltend machen können, haben hier den entscheidenden Vorteil, dass sie vor allen anderen nachrangigen Genussrechtlern zu befriedigen sind und damit noch gute Chancen auf eine hohe Befriedigung haben.
w:o Anlegerschutz: Was können PROKON-Anleger jetzt tun, um nicht nachrangig behandelt zu werden?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Aus unserer Sicht dürfte abhängig vom jeweiligen Einzelfall den Anlegern neben dem eigentlichen Rückzahlungsanspruch aufgrund des - wirksam - gekündigten Genussrechtskapitals auch ein Schadensersatzanspruch unter anderem wegen Prospektfehlern und fehlerhafter Aufklärung zustehen. Dieser Schadensersatzanspruch wäre dann unzweifelhaft jedenfalls nicht nachrangig und gerichtet auf die vollständige Rückzahlung des Genussrechtskapitals, dem entgangenen Gewinn sowie den Prozesskosten. Dieser Schadensersatzanspruch hat zudem den Vorteil, dass er nicht nur gegen PROKON selbst besteht, sondern auch gegen die Verantwortlichen und Hintermänner persönlich und dort ebenfalls in voller Höhe durchsetzbar wäre.
w:o Anlegerschutz: Hängt die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht zunächst von der Frage ab, ob das Insolvenzverfahren eröffnet wird?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Nein, die Anleger können und sollten ihre nicht nachrangigen Ansprüche unabhängig von der Frage geltend machen, ob das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder nicht. Wir haben es ja jetzt mit zwei möglichen Szenarien zu tun: Entweder weist das Insolvenzgericht den Insolvenzantrag als unbegründet ab und der vorläufige Insolvenzverwalter wird mit Dank und einer Vergütung im zweistelligen Millionenbereich entlassen und das bisherige Management bei Prokon übernimmt wieder wie bisher das Ruder. Oder das Insolvenzverfahren wird eröffnet und der Insolvenzverwalter ist fortan derjenige, der über die Befriedigung der Anleger und eine mögliche Sanierung maßgeblich entscheidet.
Sollte der Insolvenzantrag als unbegründet abgewiesen werden, können die Anleger sowohl die Rückzahlung ihres Genussrechtskapitals als auch die nicht nachrangigen Schadensersatzansprüche zusammen und einheitlich gerichtlich gegenüber PROKON und dem ursprünglichen Management geltend machen bzw. weiterverfolgen. Sollte es hingegen zu einer Insolvenzeröffnung kommen, würde sich eine Klage automatisch gegen den Insolvenzverwalter richten mit dem Ziel festzustellen, dass sowohl der Rückzahlungs- als auch der Schadensersatzanspruch als normale nicht nachrangige Insolvenzforderung zu behandeln sind und damit vor den anderen Forderungen der nicht gekündigten Genussrechtsinhaber zu befriedigen sind.
In beiden Fällen können Anleger, die ihre Ansprüche in diesem Sinne anwaltlich geltend machen, wesentlich mehr erhalten, als Anleger, die passiv bleiben. Zudem besteht bei beiden Fällen die Möglichkeit, die Schadensersatzansprüche gegen die Verantwortlichen und Hintermänner persönlich und in voller Höhe durchzusetzen und im Wege einer Arrestpfändung in deren Privatvermögen die Ansprüche zu sichern.
w:o Anlegerschutz: Welche konkreten Ansatzpunkte für Schadensersatzansprüche gegen PROKON kommen aus Ihrer Sicht in Betracht?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Wir prüfen momentan mehrere Ansatzpunkte, die Prospektfehler und eine fehlerhafte Aufklärung der Anleger vermuten lassen. Beispielsweise die Tatsache, dass die HIT Holzindustrie Torgau OHG (HIT) fälschlicherweise als Unternehmen von PROKON bzw. sogar „Geschäftsbereich“ dargestellt wurde und erst der vorläufige Insolvenzverwalter klarstellen musste, dass PROKON ohne die HIT nicht ca. 1.300, sondern lediglich ca. 480 Mitarbeiter hat und die HIT bereits mehrfach laut Presseberichten PROKON aufgefordert hat, nicht als Beteiligung von PROKON bezeichnet zu werden.
Ein anderer Punkt besteht darin, dass der Wald in Rumänien in der vorläufigen Konzernbilanz 2013 mit ca. € 80 Mio. als Sachanlage bilanziert wurde, obwohl dieser Wald ebenfalls der HIT gehört. Zudem muss der Kauf des Waldes eventuell aufgrund eines drohenden Anfechtungsprozesses rück abgewickelt werden bzw. kommt erst gar nicht zustande. Hier ist die Rechtslage zwar noch unklar, gleichwohl hätten die Anleger auf diese Umstände hingewiesen werden müssen.
Des weiteren hat PROKON der HIT ein hochriskantes Sanierungsdarlehen über € 250 Mio. ohne jegliche Sicherheiten gewährt. Auch über dieses Risiko und den Umstand, dass es sich um ein ungesichertes Darlehen an ein Krisenunternehmen handelt, hätten die Anleger sehr deutlich aufgeklärt werden müssen.
Wir prüfen derzeit ebenfalls, ob das Genussrechtskapital beispielsweise aufgrund dieses Darlehens nicht ordnungsgemäß verwendet wurde, da laut Prospekt das Kapital der Anleger ausschließlich für Projekte verwendet werden durfte, die von PROKON selbst entwickelt bzw. in den eigenen Bestand übernommen wurden. Viele von uns vertretenen Anleger fühlen sich allein durch den gesamten Themenkomplex „HIT Holzindustrie Torgau“ getäuscht, da aus ihrer Sicht die verschiedenen Unterlagen von Prokon hier ein irreführendes und falsches Bild vermitteln.
Ein anderer ganz wesentlicher Ansatzpunkt für eine mögliche fehlerhafte Aufklärung der Anleger und Schadensersatzanspruch ergibt sich abhängig vom jeweiligen Einzelfall aus dem Umstand, dass laut Aussage von PROKON in einem Rundbrief von Mitte 2013 ein „ordentliches Ergebnis“ für das Jahr 2012 verkündet wurde. Tatsächlich verweigerte dann aber nicht nur der Wirtschaftsprüfer das Testat des Jahresabschlusses 2012, sondern wies der Jahresabschluss 2012 ein negatives Ergebnis in dreistelliger Millionenhöhe auf.
Aus unserer Sicht dürften daher jedenfalls diejenigen Anleger, die seit Bekanntgabe dieses Rundbriefes auf diese Aussage vertraut und neues Geld investiert haben, unzureichend bzw. irreführend aufgeklärt worden sein. Aber auch für Anleger, die bereits investiert waren, besteht die Möglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, da sie bei korrekter Berichterstattung aufgrund der kurzen Kündigungsfristen die Möglichkeit gehabt hätten, ihr Kapital noch rechtzeitig abzuziehen.
Für Anleger, die ab Mitte 2013 neu bei PROKON investiert haben, sehen wir daher ebenfalls Ansatzpunkte für eine Schadensersatzklage. Ihnen wurde unter diesen Umständen schlicht und ergreifend ein geschöntes Ergebnis in Aussicht gestellt. Wir vermuten stark, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits ausführliche Gespräche zwischen den Wirtschaftsprüfern und PROKON gegeben hat. Die Wirtschaftsprüfer, die mit der Prüfung der Zahlen für 2012 beauftragt waren, werden per Juli 2013 sicherlich schon Bedenken angemeldet haben. Für das PROKON-Management war somit offensichtlich, dass es wohl kein „ordentliches Ergebnis“ für 2012 geben wird. Sollte sich dies bewahrheiten, so hätte das Management wissentlich falsche Erwartungen geweckt und die Anleger zur Einzahlung ihres Kapitals veranlasst. Unter diesen Umständen hätte sich nicht nur PROKON, sondern auch das Management und die Verantwortlichen persönlich gegenüber den Anlegern schadensersatzpflichtig gemacht.
w:o Anlegerschutz: PROKON hat sich nicht immer über die Ausgabe von Genussrechten finanziert, sondern hat vorher Kommanditbeteiligungen verkauft. Wie erfolgte dieser Finanzierungswechsel für die damaligen Kommanditisten?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Wir sind noch dabei, das aufzuarbeiten. Wir gehen jedoch nach unseren bisherigen Recherchen davon aus, dass die Anleger beim Wechsel von ihrer Kommanditbeteiligung zum lediglich schuldrechtlichen Genussrecht weder über die Risiken und damit verbundenen Nachteile durch den Verlust ihrer Stellung als Gesellschafter aufgeklärt wurden, sondern ihnen teilweise die Genussrechte sogar ohne ihre ausdrückliche Zustimmung untergeschoben wurden. Dies würde wiederum weitreichende Rückabwicklungsansprüche für diejenigen Gesellschafter auslösen, die schon vor 2008 investiert waren.
Anlegern aus dieser Zeit hatte zudem bereits im Dezember 2011 das OLG Schleswig-Holstein einen Schadensersatzanspruch zugesprochen, da nach dem damaligen Anlagebedingungen Prokon ein erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft gem. § 1 KWG betrieben hatte, ohne allerdings die erforderliche Erlaubnis zu haben. Prokon musste daraufhin den Anlegern ihr Geld zurückerstatten und verwendete dafür (laut Handelsblatt v. 04.02.2014) neu eingeworbene Anlegergelder aus Genussrechten und setzte sogar die Bafin von dieser Methode ausdrücklich in Kenntnis bzw. bat um entsprechende Fristverlängerung bis diese Gelder eingeworben waren. Auch insoweit spricht viel dafür, dass die neu eingeworbenen Anlegergelder nicht zweckentsprechend verwendet wurden bzw. dass es sich sogar aufgrund dieses Sachverhalts um ein Schneeballsystem handeln könnte, da die neuen Anleger natürlich nicht davon ausgehen mussten, dass ihr Kapital für die Auszahlung anderer Anleger verwendet wird.
w:o Anlegerschutz: PROKON - ein Schneeballsystem?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Für eine konkrete Bejahung fehlt uns der Einblick in die Unternehmensunterlagen. PROKON hat nie eine ordentliche Kapitalflussrechnung vorgelegt, so dass dieser Vorwurf für Externe schwer zu beweisen ist, auch wenn vielleicht vieles in gewissem Umfang darauf hindeutet. Wir glauben aber, dass das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters dazu entscheidende neue Erkenntnisse bringen dürfte.
w:o Anlegerschutz: Noch einmal konkret: Was sollten Anleger jetzt tun? Was können sie tun?
Rechtsanwalt Kaltmeyer: Wir vertreten zahlreiche Anleger, die sich bereits 2013 an uns gewandt haben. Für diese Anleger haben wir bereits eine Vielzahl von Klagen eingereicht. Die Anleger sollten neben ihrem eigentlichen Anspruch auf Rückzahlung des gekündigten Genussrechtskapitals auch den Prospekthaftungsanspruch auf Schadensersatz anwaltlich geltend machen. Der Prospekthaftungsanspruch ist jedenfalls nicht nachrangig und gerichtet auf die Rückzahlung sowohl des eingesetzen Kapitals, dem entgangenen Gewinn und den Prozesskosten. Gleichzeitig hat ein Prospekthaftungsanspruch den Vorteil, dass er nicht an den - vermutlich hohen - Buchverlusten teilnimmt, sondern in voller Höhe besteht.
Die Hinterlegung der Prospekthaftungsansprüche ist zwar aufwendig und komplex und kann nur durch einen spezialisierten Anwalt erfolgen, gleichwohl versuchen wir die Zeit bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts möglichst optimal zur Hinterlegung der Ansprüche und einer optimalen Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls auszunutzen.
Sofern es dann zu keiner Insolvenzeröffnung kommt, würde sich eine Klage wie bereits dargelegt gegen Prokon mit dem bisherigen Management richten. Sollte hingegen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, würde sich die Klage gegen den Insolvenzverwalter richten mit dem Ziel festzustellen, dass der Rückzahlungs- bzw. Prospekthaftungsanspruch als normale, nicht nachrangige Insolvenzforderung zu behandeln ist und damit vor den anderen Forderungen der nicht gekündigten Genussrechtsinhaber zu befriedigen ist.
Sollte es also solche Prospektfehler bzw. Ansprüche aufgrund fehlerhafter Aufklärung geben - wovon wir ausgehen - dann bleibt für Anleger, die untätig bleiben, erst recht noch weniger im Rahmen der normalen Insolvenzmasse übrig, da zuerst alle gerichtlich festgestellten Schadenersatzansprüche befriedigt werden müssen. Die Prospekthaftungsansprüche haben darüber hinaus den Vorteil, dass sie nicht nur gegenüber Prokon bestehen, sondern auch gegenüber dem Management bzw. Hintermännern und deren persönlichem Vermögen, so dass sich hier die Ansprüche auch im Vorfeld bereits durch Arrestpfändungen sichern lassen.