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    Wa(h)re Ich-AG  3494  0 Kommentare Der Mensch als Kapitalanlage - Cleveres Investment oder moderne Sklaverei?

    Es klingt wie eine düstere Zukunftsvision: Menschen verkaufen Aktien an sich selbst, ihr Leben wird fortan von Investoren bestimmt. Die Aktionäre entscheiden alles, sogar das Liebesleben wird von ihnen diktiert. Das Problem: Es ist keine Vision mehr, sondern schon längst Realität.

    Erinnern Sie sich noch an das Kultspiel „Die Sims“? Kaum war das Spiel 2000 auf dem Markt, konnten sich Millionen von Nutzern einfach nicht mehr von ihren Computern losreißen. Zu verlockend war es, eigene Figuren zu erschaffen und deren Leben zu entwerfen bzw. zu dirigieren. Selbst Gott zu spielen und seine eigenen Welten zu erschaffen, das hat bis heute für viele Sims-Fans Suchtpotenzial.

    Und doch bleibt Sims eine virtuelle Welt - die Figuren, ihre Freundschaften und ihre Tragödien, es ist am Ende alles eben doch nur ein Computerspiel. Aber stellen Sie sich vor, es gäbe tatsächlich ein „echtes“ Sims, sozusagen ihre ganz eigene Truman Show, bei der Sie selbst das Drehbuch schreiben und Regie führen könnten. Das glauben Sie nicht? Dann wird es höchste Zeit, Michael Merrill kennenzulernen.

    Ich-AG im wahrsten Sinne des Wortes

    Michael Merrill führt auf den ersten Blick ein ganz normales Leben: Er ist 37 Jahre alt, gelernter Softwaredesigner, wohnt in Portland und hat eine Freundin. Aber bei Merrill ist so ziemlich gar nichts normal. Denn im Januar 2008 entschloss er sich dazu, andere Menschen an seinem Leben zu beteiligen – als Kapitalanlage. Seither können sich Investoren im wahrsten Sinne des Wortes in sein Leben einkaufen. Ein US-Dollar kostete zu Beginn eine Aktie an Michael Merrill, inzwischen ist der Softwaredesigner zwischen 5 und 10 US-Dollar wert.

    Aber damit nicht genug. Die Aktionäre sind alles andere als passive Geldgeber, vielmehr können sie über Merrills Leben bestimmen und seine Entscheidungen beeinflussen. „Ich dachte mir, sie würden gute Entscheidungen für mich treffen, weil ihr Geld auf dem Spiel steht und sich ihr Investment für sie lohnen soll“, begründete Merrill gegenüber dem Magazin „Wired“ den Schritt, sein Schicksal fast komplett in die Hände der Aktionäre zu legen.

    Investoren entscheiden eigentlich alles …

    Und das ist nicht nur so daher gesagt. Die Investoren dürfen tatsächlich bei so ziemlich allem mitentscheiden. Sei es, ob Merrill sich nun das neue iPhone 6 kaufen soll oder nicht oder wohin die nächste Reise gehen soll. Das mag vielleicht noch lustig klingen, wer wünscht sich manchmal nicht, andere würden einem die Kaufentscheidung abnehmen. Aber wie sieht es bei wirklich persönlichen Dingen aus? Würden Sie beispielsweise tatsächlich jemand anderen entscheiden lassen, ob Sie Kinder kriegen wollen? Michael Merrill hat genau das getan. Seine Aktionäre durften darüber abstimmen, ob sich Merrill sterilisieren lassen sollte oder nicht (eine knappe Mehrheit sagte nein).

    … sogar das Liebesleben

    Damit nicht genug: Eine Beziehung beeinflusse die Produktivität und den Output von „KmikeyM“ (so nennt Merrill seine „Ich-AG“). Aufgrund dieser unsichtbaren Macht von romantischen Beziehungen sollten die Aktionäre die Kontrolle über die Auswahl von potenziellen Partnerinnen haben und ihre Zustimmung geben, schreibt Merrill in seiner Notiz mit dem Namen „Shareholder Control of Romantic Relationships“. Und er meint es ernst. Die Aktionäre bestimmen über berufliche Entscheidungen ebenso wie über sein Liebesleben, jüngst veröffentlichte er einen Vertrag mit seiner jetzigen Partnerin Marijke Dixon, dem die Aktionäre zustimmen sollten. Die darin enthaltenen Paragraphen sind an Absurdität nicht zu überbieten: Alles ist bis ins kleinste Detail geregelt, von der Häufigkeit des wöchentlichen Geschlechtsverkehrs bis zum äußeren Erscheinungsbild des Paares. Unter 11.1. versichern Merrill und seine Freundin außerdem, die Aktionäre einem Monat im Voraus über das Ende der Beziehung zu informieren.

    Innovative Investmentchance oder doch moderne Sklaverei?

    Keine Frage, das alles klingt nach einem schlechten Scherz und je mehr Details man liest, desto absurder wird es. Aber Michael Merrill existiert tatsächlich, ebenso seine Plattform, über die er seine Aktien vertreibt, und auch den besagte Beziehungs-Vertrag kann jeder öffentlich einsehen. 2013 trat Merrill sogar im amerikanischen Fernsehen auf, seither haben renommierte Medien wie „CNBC“ und nun auch die „WirtschaftsWoche“ über ihn berichtet.

    Fakt ist: Der Fall Michael Merrill wirft viele juristische, vor allem aber moralische Fragen auf. Darf man tatsächlich in die Leistungsfähigkeit eines Menschen investieren? Wie weit dürfen Investoren dabei gehen, welches Recht haben sie auf das Leben ihres „Investments“ und wo ist die Grenze zwischen Eigen- und Fremdbestimmung? Wird der Mensch damit nicht endgültig zur Ware und ab wann sprechen wir gar von moderner Sklaverei?

    Sicher, Michael Merrill ist (noch) ein Einzelfall, trotzdem sollte uns diese Entwicklung zu denken geben. Wollen wir wirklich, dass Sims real wird oder sollte es nicht besser das bleiben, was es ist und wofür wir es lieben: ein Computerspiel?





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