Klüger, tiefer, weiter
Nachruf auf Arnulf Baring - Seite 2
Staatspolitik vor Parteipolitik
Der Querdenker war dies auch die Zeit kurz nach dem Bruch zwischen ihm und der SPD. Aus übergeordneten, staatspolitischen Erwägungen hatte Baring trotz SPD-Parteibuchs 1983 zur Wahl der FDP aufgerufen. In der bemerkenswerten Bundestagswahl am 6. März stellte sich Helmut Kohl, der erste CDU-Kanzler nach Kiesinger, nach dem geglückten Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt erfolgreich dem Souverän. Genschers FDP, die mit dem "Lambsdorff-Papier" eine Art Straffung des Sozialstaats forderte, welche Gerhard Schröder später nur müde belächelt hätte, hatte die sozialliberale Koalition in Bonn verlassen müssen und daraufhin mehrere Landtagswahlen krachend verloren. Sie lief Gefahr, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Diese hatte aus dem bunten Bundestag der 1950er-Jahre ab 1961 ein Drei-Fraktionen-Parlament gemacht. Nun also drohte ein Zwei-Parteien-System, nach dem wenig einladenden Vorbild der Angelsachsen.
Staatspolitik ging für Baring vor Parteipolitik. Der SPD-Freund war in noch stärkerem Maße eben ein Freund des fragilen Staatswesens Bundesrepublik Deutschland. Ohne das liberale Korrektiv sah er es gefährdet. Liebte er diesen Staat? Gustav Heinemann war diese Frage einmal gestellt worden. Ein energisches "Unsinn, ich liebe meine Frau" ist als Antwort überliefert. Aber Heinemann wie Baring haben die Gründung und Entwicklung der zweiten deutschen Republik als eine Chance für das deutsche Volk empfunden. Als Glück, als ein Geschenk, das geachtet und gepflegt werden sollte - und nicht etwa als eine Selbstverständlichkeit, auf die wir Anspruch hätten oder die gar beliebig strapazierbar sei. Freiheitsrechte sind keine Pensionsrechte, sondern müssen laufend verteidigt werden - diesen Gedanken Thomas Dehlers teilte auch Baring.
Fraktion für deutliche Aussprache
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Baring konnte sich in andere Menschen hineindenken. So vermochte er Empathie oder zumindest Verständnis für andere Positionen zu entwickeln. Es fiel ihm erstaunlich leicht, Dinge oder Ereignisse nacheinander aus ganz verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu beleuchten. Zu dieser schwierigen Übung ermunterte er auch seine Studenten, wie er sie überhaupt zum Denken und zum Diskurs nötigte, beides seine Paradedisziplinen. Baring war gedanklich meist einen Schritt voraus, war klüger, schürfte tiefer, dachte weiter.