Im Gegensatz zu 2015 wird die griechische Schuldenkrise 2016 im politischen Schweinsgalopp gelöst - Seite 3
Der EU ist das geopolitische Hemd näher als der stabilitätspolitische Rock
Diese aufgehübschten griechischen Staatsfinanzen verjagen nicht zuletzt das Schreckgespenst des Grexit. Eine Austrittsdebatte wie 2015 käme jetzt auch zur völligen Unzeit. Er wäre EU-wehrkraftzersetzend und Wasser auf die Mühlen britischer EU-Austrittsanhänger. Und nach Grexit gepaart mit Brexit wäre der Notausgang aus der EU wohl kaum mehr zu schließen.
Übrigens hat Griechenland noch ein As im Ärmel. Bei der Lösung der Flüchtlingskrise kommt diesem EU-Außenfrontstaat eine wichtige Rolle zu, vor allem dann, wenn der Flüchtlingsdeal mit der Türkei wegen „atmosphärischer Befindlichkeiten“ platzen sollte. Dann würden einige griechische Inseln zu großen Aufnahmezentren von Flüchtlingen.
Finanzmathematisch betrachtet ist die griechische Schuldenfrage weiterhin eine Quadratur des Kreises. Denn das normale, ehrliche Staatsdefizit Griechenlands 2015 von 7,2 Prozent entblößt die schreckliche Realität. Aber politisch bekommt man das problemlos hin: Was nicht passt, wird eben passend gemacht.
Leider bringt die realitätsverweigernde Stabilitätslüge Griechenland und seinen Bürgern überhaupt nichts. Ein ordentlicher wirtschaftlicher Neustart, der Nägel mit Köpfen macht, wird verhindert: Ohne Grexit, Währungsabwertung und Schuldenerlass wird Hellas nie auf einen grünen Oliven-Zweig kommen.
Und die europäischen Finanzmärkte? Sie sind seit Jahren an griechisches Stabilitäts-Elend gewöhnt. Erinnern Sie sich noch an die schmerzvoll langatmige Schuldendebatte im letzten Jahr, einen möglichen EU-Austritt und vor allem an den griechischen Finanzminister Varoufakis als Hans Dampf in allen Gassen? Die Renditen griechischer Staatsanleihen sind damals explodiert.
Im Gegensatz dazu erfreuen sich die Anleger heute an der Turbo-Einigung in der griechischen Schuldenfrage. Im Vergleich zu 2015 sind griechische Anleiherenditen heute Waisenkinder. Hedgefonds
sollen bereits gut investiert sein. Kein Wunder, bei IWF, EU und EZB sitzt Griechenland so „sicher“ wie in Abrahams Schoß.
Zumindest vorerst müssen sich die Anleger nicht mit einer erneuten Euro-Wehrkraft zersetzenden Schuldenkrise auseinandersetzten. Es lebe der politische
Zeitgewinn!
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Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Bildquelle: Baader Bank / dieboersenblogger.de