Das wirtschaftliche Hemd ist näher als der lokalpatriotische Unabhängigkeits-Rock
Zentralstaaten haben null Interesse, separatistischen Revoluzzern eine Bühne zu bieten. Und so behandelt die Madrider Regierung auch das aufmüpfige Katalonien. Still verhält sich auch die EU. Die Einmischung der politischen Hohepriester aus Brüssel könnte Abkoppelungsgelüsten Europa-weit die höheren Weihen verleihen.
Nicht auszudenken, wenn auch in Schottland, Nordirland, in der Wallonie und Flandern, in Südtirol, Korsika, Sizilien, usw. die Rebellen wie bei Star Wars gegen das Imperium aufmuckten, wenn es zu einer großangelegten Austreteritis käme. Im Extremfall würde aus Europa im Zeitalter der Globalisierung ein politisch unorganisierter, kakophonischer Hühnerhaufen. Europäische Integration würde zur Utopie.
Dass dabei die unausgegorenen „Groß-Europa-Träumereien“ von EU-Kommissionspräsident Juncker ebenso auf der Strecke blieben wie eine Europäische Schuldenregierung nach Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Macron wäre aus meiner Sicht zwar nicht weiter schlimm. Doch blieben auch die Stabilitäts- und Reformhausaufgaben, die Europa angesichts der knüppelharten internationalen Wettbewerbsstärke angehen muss, unerledigt.
Selbst der überzeugteste Unabhängigkeitsvertreter will keinen Wohlstandsverlust
Bei Separationsbestrebungen sollte man nicht nur an A, die landsmännischen Gefühle, sondern auch an B, die wirtschaftlichen Folgen denken. Hier lohnt die Betrachtung der Loslösung Großbritanniens von der Europäischen Union. Die Empire-Romantik führt die Britannic jeden Tag ein bisschen näher an den Eisberg der gnadenlosen Globalisierung heran. Nach Kollision werden die Immobilienpreise und Löhne immer mehr sinken, während die Arbeitslosigkeit immer mehr steigt. Mich würde es nicht wundern, wenn das immer weniger gefüllte britische Portemonnaie früher oder später den Exit vom Brexit erzwingt.
Die Vision eines abgeschotteten Großbritanniens als buchstäbliche Insel der wirtschaftlich Verbannten hatte sogar die nicht minder nationalbewussten Franzosen beeinflusst, bei der Präsidenten- und Parlamentswahl Europa-freundlich zu wählen.
Vom El Dorado zum Armenhaus
So mancher Katalane mag weiter das Klischee pflegen, dass die Region als wirtschaftlich goldene Gans von der spanischen Regierung ausgenommen wird wie gebratenes Geflügel an Weihnachten. Auch mag man vom Märchen eines souveränen, kleinen aber reichen Landes träumen. Doch leider wird das Happy End ausbleiben. Ein unabhängiges Katalonien würde an den langen Armen Madrids und Brüssels wirtschaftlich verhungern, allein schon, um jeden Nachahmeffekt in Europa im Keim zu ersticken. Katalonien würde solange auf eine eigene Euro- bzw. EU-Mitgliedschaft warten müssen, bis auch noch die letzte Streuobstwiese in Barcelona unkrautfrei ist. Da Katalonien somit auch der Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt verwehrt wäre, würde sein Außenhandel schmelzen wie Speiseeis in der Sommerhitze der Costa Brava.