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    Geldpolitiker in der Kritik  12435  4 Kommentare Helaba: Extrem-Niedrigzinsen wirken bereits negativ, aber die Masse merkt es noch nicht

    In welches Dilemma sich die Geldpolitiker manövriert haben und welche Lösungen infrage kommen, zeigen Gertrud R. Traud, Helaba-Chefvolkswirtin (Foto), und Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW, im zweiten Teil unserer Artikelserie "Negativzinsen auf Bankguthaben".

    Die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Gertrud R. Traud, zweifelt an der aktuellen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Volkswirtin meint, dass das Mantra der europäischen Zentralbanker, dass die Inflationsrate ansteigen soll, nicht zielführend sei: "Das Argument, dass die Inflation zu niedrig sei und man alles tun müsse, um endlich eine Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen, ist eine nicht sachgemäße Sichtweise. Rein ökonomisch ist jede Inflationsrate von größer als Null ein Kaufkraftverlust. Und solange die Inflation über den Zinsen liegt, muss der Sparer einen realen Kaufkraftverlust hinnehmen. Also auch jetzt schon haben die extrem niedrigen Zinsen negative Effekte für die Massen. Da die meisten Menschen aber eher auf nominale Werte und nicht auf reale Werte schauen, haben sie es bislang nicht gemerkt", erklärte Traud im Gespräch mit der wallstreet:online-Redaktion.

    Laut der Helaba-Ökonomin verfehlt die EZB-Politik ihre eigentlichen Ziele: "Die aktuelle Diskussion ist ein gutes Beispiel für die Problematik 'wenn die Lösung das Problem wird'. Die Notenbank möchte mit den negativen Einlagenzinsen eigentlich etwas Gutes tun. Die Effekte sind aber nicht eindeutig positiv. Es ist weder klar, ob damit die Kreditnachfrage angekurbelt wird, noch der Konsum", so die Volkswirtin.

    "Die EZB-Politik belastet die Banken", resümiert die Volkswirtin. Stichwort: Negativer Einlagenzins für Geldinstitute. "Früher oder später müssen sie diese Belastung weitergeben oder im schlimmsten Fall ihr Geschäft einstellen. Ob die Banken, die Kosten in Form negativer Zinsen oder über eine Anhebung der Gebühren weiter gehen, hängt sicherlich auch von den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab", führt die Landesbankerin aus. "Die Diskussion um die Negativ-Zinsen zeigt deutlich, dass die aktuelle Geldpolitik erhebliche Risiken und Nebenwirkungen hat. Dies sollte vermehrt in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden. Nur dadurch kann man das Problem lösen", meint Traud.

    Uwe Burkert, Chefvolkswirt Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), ist der Ansicht, dass die Banken verstärkt negative Zinsen für Einlagen einführen werden, falls die EZB die Zinsen für Bankeinlagen weiter absenkt. "Dennoch erwarten wir keine Einführung von Negativzinsen auf breiter Front im normalen Privatkundengeschäft – noch nicht", so die Einschätzung von Burkert.

    Der LBBW-Banker sieht das Modell der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als eine Lösung für das Nullzins-Dilemma an: "Das Beispiel Schweiz zeigt, wie man beides – Negativzins für Banken und Nullzins im breiten Privatkundengeschäft – vereinbaren kann, indem hier die SNB entsprechend Einlagen zum Zwecke der Mindestreserve teilweise von der Zahlung von Negativzinsen befreit – denn diese stehen ja per Definition ohnehin nicht für die Kreditvergabe zur Verfügung. Das wäre m.E. eine Möglichkeit, auch deutsche Sparer oder Einleger bis zu einer gewissen Summe vor Negativzinsen o.ä. zu schützen", meint Uwe Burkert.

    An die Adressen deutscher Politiker geht Burkerts Vorschlag, dass der deutsche Staat die günstigen Marktbedingungen ausnutzen und an die Sparer weitergeben könnte: "Es stünde dem deutschen Staat frei, wie er die Windfall-Profits aus der Geldpolitik und den aktuellen Marktverhältnissen (ganze Renditekurve im negativen Bereich) nutzen kann. So könnte ich mir eine Sparprämie ähnlich wie in Frankreich beim Livre Bleu vorstellen, um z. B. klimaneutrale Investitionen zu fördern oder andere Zukunftsprojekte zu finanzieren. Hier könnten Sparer entsprechend höhere Verzinsungen generieren", schlägt Burkert vor.

    Burkerts Vorschläge zielen darauf ab, dass Deutschland die komfortable Situation der Staatsfinanzen nutzen könnte, um Bürger finanziell beim Vermögensaufbau und der Altersvorsorge zu unterstützen: "Ich finde den Vorschlag von ifo-Präsident Fuest sehr gut, den Safe-Haven-Charakter deutscher Bundesanleihen auszunutzen und den Fundingvorteil für den Aufbau eines Aktienportfolios mit ETFs zu nutzen, um damit für jeden Bürger für das Alter vorzusorgen. Aus meiner Sicht wäre eine Kombination aller Modelle das zielführendste, weil es ja nicht nur an der EZB liegt, sondern hauptsächlich daran, dass zu viel Anlagegeld auf zu wenig Kapitalnachfrage durch eine zu geringe Investitionsnachfrage trifft", so Burkert.

    Der LBBW-Volkswirt erteilt Politikern, die negative Zinsen verbieten wollen, ein klare Absage: "Ein Verbot negativer Zinsen durch die Politik setzt völlig falsch an, da hier nur ein Symptom, nicht aber die Ursache angegangen werden würde".

    Autor: Christoph Morisse

    >> Hier geht's zum ersten Teil der Artikelserie zum Thema "Negativ-Zinsen für die Massen" - "Bei Bankern nachgefragt: Klares Nein zu Strafzinsen für Sparer fällt anders aus"

     





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