Robert Rethfeld im Interview
Ölexperte warnt: "Der Schweinezyklus ist in vollem Gange"
Zu den Top-Themen in diesem Jahr gehört Öl. Das „Schwarze Gold“ steht im Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen, die von globaler Bedeutung sind. Die Wallstreet:Online-Redaktion sprach mit Robert Rethfeld, dem Herausgeber des Wellenreiter-Börsenbriefs, über seine Erwartungen an die Märkte und Akteure, auch über 2019 hinaus.
Sehr geehrter Herr Rethfeld, wie schätzen Sie den US-Öl-Markt ein?
Robert Rethfeld: Der US-Öl-Boom scheint derzeit ins Stocken zu geraten. Laut Berichten lässt die US-Förderleistung nach. Lassen Sie mich ins Detail gehen. Die offiziellen Daten der
US-Energieagentur EIA legen einen oberen Wendepunkt bei etwas über 12 Millionen Barrel pro Tag nahe. Im Juli 2019 wurden 11,8 Millionen Barrel pro Tag gefördert.
Lassen Sie uns die Perspektive kurz ändern. Können Sie uns als langjähriger Marktbeobachter ihren Blick auf den US-Markt schildern?
Robert Rethfeld: Der US-Öl-Boom der vergangenen 10 Jahre war einer Technologie geschuldet, mit deren Hilfe Wasser und Zusätze in tiefere Bodenschichten gepresst werden. Wie sehr
das Fracking die US-Öl-Förderung aufgeputscht hatte, ist an den täglichen Mengen deutlich zu erkennen: Waren es 2010 noch um die 5,5 Millionen Barrel pro Tag, so übersteigen die heutigen Mengen
leicht die Produktion der 1970er Jahre, die lange Zeit als das goldene Ölzeitalter der USA galten.
Wie sah es bislang 2019 aus? Welche Besonderheiten lassen sich identifizieren und wie reagierten die Märkte?
Robert Rethfeld: Ein einschneidendes Ereignis für die US-Öl-Produktion war der tropische Sturm im Golf von Mexiko im Juli. Viele Ölplattformen waren geschlossen und somit kam es zu
einem erheblichen Rückgang der Fördermenge. Unabhängig von diesem Ereignis, ließ 2019 auch in Texas die Dynamik nach. Dort stagnierte die Förderleistung in den vergangenen Wochen.
Generell geht es bei der Wirtschaftsanalyse um die Einordnung in Phasen, um eine Prognose abgeben zu können. In welcher Phase befindet sich die US-Öl-Produktion?
Robert Rethfeld: Der Fracking-Boom scheint einen zweiten Höhepunkt überschreiten zu wollen. Die zweite Boom-Phase (2016-2018) dürfte aus den gleichen Gründen enden wie die erste
(2012-2014): Hohe Preise ermutigen Investments und führen zur Überproduktion. Die Folge ist eine Sättigung an den Weltmärkten, was die Preise fallen lässt. Der Schweinezyklus ist in vollem Gange.
Wie hängen Preis und Menge beim Öl zusammen? Sehen Sie derzeit ein explosives Gemisch?
Robert Rethfeld: Der Preisverfall sorgt für eine fallende Ölproduktion. Derzeit sieht es danach aus, dass der Preis der Produktion um etwa ein Jahr vorausläuft. Zum Vergleich: In der
Vergangenheit bedeutete eine Veränderungsrate von minus 50 Prozent häufig ein Tief im Ölpreis und auch ein Tief in der Ölproduktion. Zuletzt war dies Anfang
2016 der Fall. Ein WTI-Crude-Preis von etwa 34 US-Dollar wäre nötig, um die Veränderungsrate aktuell auf minus 50 Prozent zu drücken. Aktuell beträgt sie minus 27 Prozent. Wir erinnern uns an den
Preisverfall 2015/16, als viele Ölexplorer-Unternehmen und ihre Zulieferer in Schwierigkeiten gerieten beziehungsweise liquidiert wurden.
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Welche weiteren Warnzeichen gibt es?
Robert Rethfeld: Der S&P 500-Energiesektor fiel in den vergangenen Wochen. Er notiert als einziger Sektor auf Kalenderjahresbasis im Minusbereich. Die BofA/ML-Fondsmanagerumfrage aus
dem September zeigt, dass sich die Vermögensverwalter aus dem Energiesektor zurückziehen. Die aktuelle Untergewichtung beträgt -17 Prozent. Der Tiefpunkt von Anfang 2016 wurde bei einer
Untergewichtung von -35 Prozent erzielt. Ein fallender Ölpreis würde höchstwahrscheinlich mit einem fallenden S&P 500 einhergehen, was Fondsmanager und Anleger überraschen dürfte.
Vielen Dank für das Interview Herr Rethfeld!
Mit Robert Rethfeld sprach Dr. Carsten Schmidt, Redakteur bei Wallstreet:Online.