checkAd

     3437  0 Kommentare Wie der Goldpreis gemacht wird (1)

    Bloomberg und die Objektivität

    Gibt es eigentlich einen objektiven Journalismus? Den Versuch, die Welt vorurteilsfrei zu beobachten und darüber zu schreiben? Oder ist die Meinungshuberei – ob aus Zeitgeiststreben oder von einem Auftraggeber bezahlt – mittlerweile bis in die letzte Ritze des Geschriebenen vorgedrungen?

    Kolumnen hingegen müssen subjektiv sein. Und so habe ich nie ein Hehl daraus gemacht, nichts vom Gold zu halten. Weil ich glaube, dass wir uns in stabil-disinflationären Zeiten befinden und daher keines der beiden fürs Gold so wichtige Szenarien aktuell ist.

    Gestern hat die Tageszeitung „Die Welt“ einen Artikel der Nachrichtenagentur „Bloomberg“ über das Gold abgedruckt. Ich werde diesen Artikel an dieser Stelle heute und am Freitag in voller Länge wiedergeben und dabei kommentieren. Denn es handelt sich hier um ein treffliches Beispiel der Beeinflussung von unbedarften Lesern. Unter dem Deckmantel der Objektivität wird hier knallharte Meinungsmache betrieben. Meine Kommentare habe ich jeweils in Klammern gesetzt.

    Gold bleibt wegen der hohen Ölkosten im Aufwind

    Seattle - Der Goldpreis wird weiter steigen. (Ein unglaublich frecher Einstieg. Stellt dieser Satz eine gesicherte Information dar? Oder ist er Spekulation? Ein Wunsch? Und was wird damit bezweckt?) Von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Händler rechnen auch für diese Woche mit einem Anziehen des Goldpreises - es wäre die sechste Woche in Folge. (Eine Händlerumfrage darf man nicht als Beleg für zukünftige Preise nehmen. Das ist entweder dumm oder geschieht mit der Absicht, ein Ziel damit zu erreichen.) Die Händler spekulieren darauf, dass die Nachfrage nach dem Edelmetall angesichts der hohen Treibstoffkosten steigen wird, da sich immer mehr Investoren gegen eine drohende Inflation absichern. (Diese Logik ist hingebogen und trägt nicht. Hohe Treibstoffkosten können zu gestiegenen Kosten führen. Eine Inflation ist aber stets ein kumulativer Prozess. Das weiß jeder Erstsemester-Student an der Universität.)

    Zweiundzwanzig von insgesamt 43 befragten Händlern, Investoren und Analysten raten, Gold zu kaufen, 14 empfehlen den Verkauf und sieben sind neutral. Seit Anfang September kletterte der Goldpreis 5,5 Prozent, während der Ölpreis 21 Prozent bis auf 53,40 Dollar hochschnellte. Die steigenden Kosten für Heizöl, Dieselkraftstoff und Erdgas werden das Wirtschaftswachstum der USA voraussichtlich bremsen und die US-Notenbank Federal Reserve veranlassen, das Tempo bei den Zinserhöhungen zu drosseln. (Woher weiß der Autor das? Ersteres liegt sicherlich nahe, letzteres ist jedoch völlig ungewiss. Hier zu schreiben „werden ... die US-Notenbank Federal Reserve veranlassen“ ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Hier darf man einen Marktteilnehmer nennen, der dies behauptet, oder man darf schreiben, dass man selbst der Meinung ist. Ein subjektives Statement dazu ist also erlaubt. Doch eine objektive Aussage ist eine Irreführung – bewusst oder unbewusst.)

    "Höhere Ölpreise heizen ganz klar die Inflation an", sagt Stephen Leeb, Vermögensverwalter bei Leeb Capital Management. "Gleichzeitig zwingen sie die Fed, die Zinsen niedriger zu halten, als sie eigentlich wollte. Sie sind außerdem dafür verantwortlich, dass sich unser Handelsdefizit verschlimmert. Diese drei Punkte wirken sich alle unterstützend auf den Goldpreis aus." (Na bitte, das ist in Ordnung. Es wird jedoch durch die vorangeschobene Tatsachenbehauptung suggeriert, dass dieser Marktteilnehmer mit seiner Meinung auch Recht hat. Die eine Aussage stützt hier die andere. Eine gegenteilige Meinung wird nicht genannt. Das ist billig, ist kein Journalismus, sondern nicht mehr als Propaganda. Der Leser soll nicht informiert werden, sondern es wird eine vorgefertigte Meinung mit Nennung von Tatsachen unterfüttert. Es werden keine Informationen geliefert, damit der Leser sich ein Urteil bilden kann, sondern es werden Vorurteile gestützt.)

    berndniquet@t-online.de


    Bernd Niquet
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen
    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

    Mehr anzeigen
    Verfasst von Bernd Niquet
    Wie der Goldpreis gemacht wird (1) Bloomberg und die Objektivität Gibt es eigentlich einen objektiven Journalismus? Den Versuch, die Welt vorurteilsfrei zu beobachten und darüber zu schreiben? Oder ist die Meinungshuberei – ob aus Zeitgeiststreben oder von einem Auftraggeber …