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    Interview  22135  0 Kommentare Jannes Lorenzen: "Besser als die Nettorendite von 80% aller Anleger und Fondsmanager"

    Im Interview mit der wallstreet:online-Redaktion verrät Jannes Lorenzen, auch bekannt als "Aktienrebell", seine Börsenstrategien, wie er die meisten Fondsmanager und Börsengurus renditetechnisch geschlagen hat und welchen Analysten er aufmerksam zuhört.

    wallstreet:online: Herr Lorenzen, mit Verlaub, als junger "Aktienrebell" lehnen Sie sich auf den ersten Blick weit aus dem Fenster. Sie kritisieren die Finanzindustrie, vor allem die Zunft der Berater. In einem Ihrer Newsletter heißt es sinngemäß, wer sich etwas von seinem Finanzberater der Bank verkaufen lasse, ginge ein reines Glückspiel ein, ob die Aktie nun gut oder schlecht sei. Es sei reiner Zufall, ob man nun einen Treffer oder eine Niete gezogen habe. Könnten Sie uns Ihre These bitte anschaulich begründen?

    Jannes Lorenzen: Die Kritik der Finanzindustrie beruht auf unzähligen Untersuchungen, Statistiken und wissenschaftlichen Studien, die dies belegen. Privatanleger werden oft unzureichend über Risiken aufgeklärt, Beratungsgespräche sind eher Verkaufsgespräche, zu hohe Kosten vernichten jede Renditechance und das Wissen, das notwendig ist, um dauerhaft erfolgreich anzulegen, wird nicht vermittelt. Gerade die Empfehlung einzelner Aktien ist hochriskant: Nach einer Untersuchung von J.P. Morgan performen etwa zwei Drittel aller Aktien schlechter als der jeweilige Vergleichsindex. Wie mittlerweile zahlreiche andere Untersuchungen zeigen, schafft es auch ein Großteil der Experten nicht Aktien auszuwählen, die überdurchschnittlich gut abschneiden - und wenn, dann nur im Durchschnitt über sehr viele Aktien, nicht bei einer einzigen.

    wallstreet:online: Als eine Art Gegengift zu den Bankberatern empfehlen Sie, Wissen aufzubauen. Wie fängt man damit an, nach welchem Lehrplan geht man vor und was soll man nach einem Jahr draufhaben, um unabhängig von Bankberatern zu sein?

    Jannes Lorenzen: Wissen hilft nicht nur dem eigenen Anlageerfolg. Ebenso ist es nur durch eigenes Wissen möglich, die Ratschläge von Bankberatern einordnen und kritisch hinterfragen zu können. Es gibt mittlerweile zahlreiche Wege zur Weiterbildung, sowohl kostenlos als auch kostenpflichtig, sei es durch Blogs, Videos, Bücher, wissenschaftliche Studien oder durch Ratschläge von erfolgreichen Investoren, die nach Möglichkeit nicht den typischen Interessenskonflikten von Beratern oder Fondsmanagern unterliegen. Dazu hilft immer eine wissenschaftlich fundierte Ausgangsbasis und ein kritischer Blick, da nicht alles, was im ersten Moment logisch klingt, auch langfristig funktioniert.

    Sobald man die Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte versteht - den Zusammenhang von Rendite und Risiko, was Aktienkurse antreibt und was explizit nicht, die Rolle von Erwartungen und mehr - ist die Basis vorhanden, um eigenständig gute Entscheidungen unabhängig von Beratern zu treffen. Da es unterschiedliche Anlagestrategien gibt, gibt es aber nicht den einen Punkt, an dem jeder Anleger "bereit" ist. Gerade durch Anlageinstrumente wie Indexfonds kann dies bedeutend schneller gehen als wenn jemand alle Aspekte der Unternehmensbewertung verstehen und anwenden möchte.

    wallstreet:online: Sie schreiben sehr allgemein davon, dass der Anlageerfolg davon abhängt, das Depot "richtig zu gestalten". Können Sie uns den allgemeinen Satz bitte konkret erklären?

    Jannes Lorenzen: Es ist vor allem wichtig, sich des eigenen Ziels, der Risikotoleranz, der verfügbaren Zeit und des Anlagehorizonts bewusst zu werden und darauf basierend eine passende Strategie zu finden. Dementsprechend gibt es nicht die eine Strategie, die für jeden Anleger optimal ist. Der erste Anlaufpunkt sollte aber nie die Frage danach sein, welche Aktie die nächste Kursrakete wird, sondern in welche Anlageklasse - seien es Aktien, Anleihen, Rohstoffe usw. - zu welchem Anteil investiert werden soll, um grundlegend ein gutes Rendite-Risiko-Profil zu erzielen. Darauf basierend sollten detaillierte Überlegungen folgen, die die konkrete Umsetzung betreffen: Investiere ich in einzelne Aktien oder in Indexfonds? Welche Aktienmärkte bilde ich dabei nach welcher Gewichtung ab? Wie stelle ich eine für mich ausreichende Diversifikation sicher? Hier gibt es viele gute Ansätze, die aus den eben erwähnten Quellen übernommen und auf die eigenen Bedürfnisse und Ziele angepasst werden können.

    wallstreet:online: Starinvestor Warren Buffett scheint bei Ihnen ein Stein im Brett zu haben. Uns interessiert an dieser Stelle, welche Kennzahlen Sie im Gegensatz zu Buffett bei der Aktienanalyse beachten bzw. welche eher außen vor lassen.

    Jannes Lorenzen: Warren Buffett besticht nicht nur durch seinen über Jahrzehnte erreichten Erfolg, sondern vor allem durch seine nüchterne Art komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen und sich von der Hysterie, die die Finanzmärkte umgibt, loszusagen. Seine Ratschläge beruhen nicht auf täglichen Marktberichten, sondern auf jahrzehntelanger Erfahrung und sind langfristig ausgerichtet.

    Die grundsätzlichen Überlegungen von Buffett haben das Ziel, einen Wert für eine Aktie zu ermitteln, der möglichst weit unter dem aktuellen Preis der Aktie liegt. Die Kennzahlen, die Buffett dafür benutzt, haben dauerhaft ihre Gültigkeit. Da die Anzahl digitaler Geschäftsmodelle zunimmt - nicht nur in der Tech-Branche, sondern in allen Branchen der Welt - wird es immer wichtiger, digitale Geschäftsmodelle verstehen und analysieren zu können. Anders gesagt: Fast jedes Unternehmen der Welt muss langfristig, zumindest teilweise, ein Technologie-Unternehmen werden. Die Kennzahlen dazu sind vielfältig und füllen eigene Bücher. Relevant sind dort - je nach Geschäftsmodell - die Akquisekosten für neue Kunden, die sogenannte Churn-Rate (Abwanderungsquote) oder auch der Customer Lifetime Value (CLV), der den langfristigen Wert eines Kunden misst.

    wallstreet:online: Wir bitte um konkrete Namen, welche drei wichtigen "Börsengurus" sollte man als Anleger auf dem Schirm haben, auf welche drei kann man am ehesten verzichten?

    Jannes Lorenzen: Ich halte weder etwas davon, einzelne Personen zu vergöttern, noch sie für jede Aussage zu verteufeln, vielmehr sollten einzelne Ideen und Vorschläge diskutiert werden. Nichtsdestotrotz halte ich die Ratschläge von vielen medial präsenten Fondsmanagern und Börsengurus gerade im deutschsprachigen Raum für bedenklich, die darauf beruhen tägliche Wasserstandsmeldungen, kurzfristige Marktprognosen und fragwürdige Aktientipps von sich zu geben. All das sind interessanterweise genau die Dinge sind, die die Finanzwissenschaft kritisiert und als schädlich für die meisten Privatanleger identifiziert hat. Diese werden zudem mit einer Selbstsicherheit präsentiert, die Anleger glauben lässt, dass diese Experten eine Glaskugel hätten. Dort wird kein Wissen vermittelt, sondern Anleger zu ständigem Hin und her Handeln animiert, was einer der größten Renditevernichter bei Privatanlegern ist - ungeachtet vom immensen Zeitaufwand, den so etwas im Gegensatz zu einer Buy-and-hold-Anlagestrategie verursacht.

    Es gibt jedoch, sowohl in Deutschland als auch international, viele positive Beispiele, die fundiertes Wissen vermitteln, sich nicht auf marktschreierische Prognosen einlassen und nüchterne Einschätzungen liefern, die langfristigen Mehrwert bieten. Da seien unter anderem Gerd Kommer, Ben Carlson, Meb Faber, Rob Arnott, David Swensen und Ray Dalio zu nennen.

    wallstreet:online: Können Sie uns bitte darstellen, wie Sie und in welcher Zeit Sie Ihre Depots auf welche Rendite getrimmt haben? Und: Welche Aktien sind Ihre Säulen?

    Jannes Lorenzen: Da der Großteil meines Depots aus ETFs besteht, die den Markt breit abbilden, entspricht meine Rendite zu größten Teilen der Marktrendite. Diese ist über die letzten Jahre nicht nur positiv ausgefallen, sondern - nach Abzug aller Kosten und Steuern - besser als die Nettorendite von etwa 80% aller Anleger und Fondsmanager. Meine Rendite beruht damit vor allem auf jahrzehntelanger Forschung von Ökonomen und Finanzwissenschaftlern, die meiner ersten Investition im Alter von 19 Jahren im Jahr 2012 vorausgegangen ist. Ich verlasse mich also nicht darauf, dass ich ein besseres Händchen beweise als 90% aller Anleger, Fondsmanager und Börsengurus: Ich setze wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst konsequent und bei minimalem Zeitaufwand in die Praxis um.

    Dazu kommen bei Gelegenheit Investitionen in einzelne Aktien, bevorzugt in Geschäftsmodelle mit hoher Qualität nach temporären Kursrücksetzern (zuletzt bspw. bei Facebook und Alphabet) oder in krisenbehaftete Aktien oder Regionen, die dadurch - bei hohem Risiko - enorm günstig bewertet sind (zuletzt bspw. in einen Russland-ETF, der bis heute knapp 60% Rendite in ca. 2 Jahren geliefert hat) und dadurch Renditechancen liefern.

    Auch wenn diese Jahre erfolgreich waren, ist ein Vergleich von Renditen allerdings meist wenig hilfreich und irreführend: Wer bis 1999 in Internetunternehmen investiert hat war der König, nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 war die Rendite unterirdisch. Selbst Warren Buffett hat jahrezehntelang erfolgreich investiert, lag aber über die letzten Jahre oftmals hinter dem S&P500 zurück. Genau so waren die letzten Jahre vor allem durch starke Growth-Aktien, die Niedrigzinsphase und aktuell sportlich bewertete Technologie-Unternehmen geprägt und damit durch Phänomene, bei denen nicht klar ist, wie die Effekte daraus in den nächsten Jahren aussehen. Eine erfolgreiche Anlagestrategie, die langfristig ausgerichtet ist, kann per Definition nicht über ein paar Jahre beurteilt werden, sondern sollte auf Erkenntnissen aus vielen Jahrzehnten beruhen und wird naturgemäß auch mehrere Jahre beinhalten, in denen die Strategie einmal nicht funktioniert.

    wallstreet:online: Und zum Schluss wird‘s persönlich: Was machen Sie eigentlich am liebsten, wenn Ihnen die Börse gerade mal schnurzegal ist?

    Jannes Lorenzen: Am liebsten lerne ich neue Dinge. Dazu gehören neue Technologien, das Lernen von Programmiersprachen und digitales Unternehmertum, das heute viele spannende Möglichkeiten bietet. Um davon den Kopf frei zu bekommen, lese ich gern ein gutes Buch oder gehe zum Sport.

    Das Interview führte Christoph Morisse.

    Kurzvita von Jannes Lorenzen

    Jannes Lorenzen hat 2013, während seines VWL-Studiums in Hamburg, die Webseite aktienrebell.de gegründet. Sein Ziel: Menschen ermutigen, eigenständig in Aktien zu investieren - unabhängig von Banken, Beratern und Co. Dafür bereitet er Erkenntnisse aus der Finanzwissenschaft, Ökonomie und Verhaltenspsychologie leicht verständlich auf und beleuchtet auf seinem Blog, in seinem Podcast und eigenen Mitgliederbereichen die Zusammenhänge an den Aktienmärkten, die Chancen für Privatanleger, die größten Fehler beim Investieren und konkrete Strategien für eine langfristig erfolgreiche Geldanlage.





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