Das unterschätzte Risiko von Bankguthaben - Seite 4
• Mit Bankguthaben kann man nach Kosten, Steuern und Inflation nicht erst seit 2015 kein Vermögen bilden, sondern man konnte das in den letzten 120 Jahren nicht (lesen Sie hierzu unseren Blog-Beitrag). Dieser eigentlich triviale Sachverhalt wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Dass viele Privatanleger dieses Faktum offenbar emotional nicht tolerieren können oder wollen, ändert wenig an seiner Existenz.
Es stellt sich die Frage, warum so viele Privatanleger das beträchtliche Gegenpartei-Risiko eines Bankguthabens unterschätzen oder jedenfalls akzeptieren. Uns fallen sechs Gründe ein.
Grund 1 und Grund 2 sind recht banal: Mangelnde Kenntnis der Finanzgeschichte und urmenschliche Bequemlichkeit. Die meisten Privatanleger haben keine finanzhistorischen Bücher gelesen wie etwa das von Niall Ferguson oder das von Reinhart/Rogoff (siehe Literaturliste weiter unten). Beide, besonders Reinhart/Rogoff, berichten von einer schier endlosen Serie von Bankenkrisen in den letzten Jahrhunderten, inklusive und vor allem der letzten 100 Jahre. Und ja, Bankguthaben sind konkurrenzlos bequeme Investments. Sie erfordern kein Nachdenken und ihre Alternativen (z. B. Geldmarktfonds oder kurzfristige Staatsanleihen) sind etwas weniger bequem und erscheinen vielen Menschen "irgendwie kompliziert". Bei genauerer Betrachtung sind sie es aber nicht.
Grund 3: Die Mehrzahl aller Privatanleger ist sich nicht im Klaren über den fundamentalen, strukturellen Vorteil eines Wertpapier- oder Fondsdepots gegenüber einem Bankguthaben. Bei einem Depot agiert die Bank lediglich als Verwahrstelle. Geht die Verwahrstelle pleite, spielt das für den Eigentümer der Papiere im Depot vermögensmäßig keine Rolle, wie es auch keine Rolle für die Eigentümer eines Bankschließfaches spielt, wenn die Schließfachbank in den Konkurs gerät. Der Inhalt des Schließfaches und der Inhalt eines Depots fallen nicht in die Konkursmasse der Bank. Grundsätzlich anders verhält sich das bei einer Einlage wie einem Bankguthaben: Sie ist im Pleitefall Teil der Konkursmasse und wenn die nicht groß genug ist, haben manche oder alle Einleger (die Gläubiger) ganz einfach Pech.
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Grund 4: In der Denke eines normalen Privatanlegers erscheint ein Bankguthaben als "irgendwie" sicher oder sogar als das sicherste Investment, weil der Saldo auf dem Kontoauszug beim Bankguthaben – anders als z. B. bei einem Geldmarktfonds oder einer kurzfristigen Anleihe – nie sinkt und nicht schwankt. Man weiß mit einer scheinbaren 100%-Sicherheit heute, was morgen auf dem Kontoauszug stehen wird. Aus offensichtlichen Gründen lässt sich das Risiko einer Bankeinlage nicht mit den üblichen Risikokennzahlen wie Volatilität (Wertschwankungsintensität) aussagefähig messen. Leider führt diese naive Risikodenke bei sehr selten auftretenden, aber dann besonders gravierenden "Schwarzer-Schwan-Risiken", wie sie Bankpleiten darstellen, in die kognitive Sackgasse. Black-Swan Risk (manchmal auch Event Risk oder Tail Risk genannt) ist kaum quantifizierbar und lässt sich nicht zuverlässig prognostizieren (Taleb 2007). Aus dieser weitgehenden Nichtberechenbarkeit abzuleiten, dass man sie ignorieren könne, wäre fatal. Ein Risiko verschwindet nicht deswegen, weil man es nicht regelmäßig beobachten oder nur schwer messen kann. Cash oberhalb der staatlichen Einlagensicherung auf ein Bankkonto einzuzahlen ist, wie in einer stark erdbebengefährdeten Region ein Eigenheim für seine Familie zu bauen, das – um Geld zu sparen – keine Erdbebensicherheitsstandards erfüllt und dieses haarsträubende Verhalten damit zu begründen, dass das letzte Erdbeben ja schon 40 Jahre zurückliege.