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    Coronakrise  10627  3 Kommentare Wann beginnt die Suche nach den „Schuldigen“? - Seite 2

    In der Finanzkrise 2008 mussten „gierige Banker“ als Sündenböcke herhalten. Die Ursachen waren so komplex, dass die meisten Menschen sie nicht verstehen konnten. In solchen Situationen werden Sündenböcke gesucht. Reiche oder ganz allgemein der Kapitalismus sind heute beliebte Zielscheiben für das Sündenbockdenken. Entweder man macht sie direkt verantwortlich für schlimme Entwicklungen oder man zeigt sich empört, dass in Krisensituationen (z.B. bei einem Erdbeben) Angehörige unterer Schichten stärker betroffen sind als Bessersituierte.

    Politisierung der Corona-Krise

    Die Politisierung der Corona-Krise begann damit, dass die Linke die Privatisierung von Krankenhäusern anprangerte. Die Parteivorsitzende Katja Kipping forderte schon Ende Januar, wegen der Coronakrise sofort die Privatisierung von Krankenhäusern zu stoppen. Im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen wurde das „hemmungslose Profitstreben“ von privaten Kliniken schon mal vorab als Ursache dafür identifiziert, wenn Coronakranke nicht angemessen behandelt werden könnten (bevor es einen einzigen Fall gab, der eine solche Deutung nahe legte).

    Sündenbock-Denken

    In Deutschland ist das „Reichen-Sündenbockdenken“ besonders ausgeprägt. Bei einer Umfrage der Institute Allensbach und Ipsos MORI wurde den Befragten in vier Ländern folgende Aussage vorgelegt: "Superreiche, die immer mehr Macht wollen, sind schuld an vielen Problemen auf der Welt, z.B. an Finanzkrisen oder humanitären Krisen." In Deutschland war die Zustimmung zu dieser Aussage mit 50 Prozent doppelt so hoch wie in Großbritannien und den USA (21 bzw. 25 Prozent). Das lässt vermuten, dass sich die Aggressionen gegen Reiche und die Bereitschaft der Politik, gegen diese vorzugehen, in einer akuten Krise in Deutschland eher mobilisieren ließen als in den angelsächsischen Ländern.

    Die Attributions-Theorie in der Psychologie betont, dass Menschen dazu neigen, komplexe Ereignisse, die sich einer einfachen Erklärung entziehen, damit zu erklären, dass bestimmte Gruppen als Schuldige identifiziert werden. Der amerikanische Psychologe Peter Glick argumentiert, dass oft gerade solche Gruppen als Sündenböcke fungieren, denen die unheimliche Macht zugeschrieben werde, die negativen Ereignisse bewusst verursacht zu haben. Dies seien oftmals gerade nicht wehrlose Minoritäten. „Minderheiten mit hohem Status oder mit Macht (z. B. durch ihren sozioökonomischen Erfolg), die als Konkurrenz zur dominanten Gruppe gesehen werden, sind neidischen Vorurteilen ausgesetzt: sie werden wegen ihres Erfolges bewundert und zugleich abgelehnt; sie werden stereotypisiert als hochkompetent, aber ihnen werden feindselige Motive unterstellt. Weil beneideten Gruppen unterstellt wird, sie hätten die Macht und die Intention, anderen Schaden zuzufügen, sind die gefährdet, dass man sie beschuldigt, Frustrationen auf Gruppenebene verursacht zu haben.“


    Rainer Zitelmann
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    Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe - und zugleich ein erfolgreicher Investor. Er hat zahlreiche Bücher auch zu den Themen Wirtschaft und Finanzen* geschrieben und herausgegeben, viele davon sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. * Werbelink
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    Verfasst von Rainer Zitelmann
    Coronakrise Wann beginnt die Suche nach den „Schuldigen“? - Seite 2 Es ist fast schon ein Gesetz: Bei Krisen, Naturkatastrophen und Epidemien beginnen die Menschen früher oder später mit der Suche nach den „Schuldigen“ und es findet eine Politisierung des Ereignisses statt. Meist werden Krisen anfangs nicht sehr ernst genommen. Irgendwann bricht Panik aus, aber die Menschen sind zunächst vor allem damit beschäftigt, die unmittelbaren Folgen einer Katastrophe in den Griff zu bekommen – so wie derzeit bei der Coronakrise.

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