Umgestaltung der Finanzwelt
Nachhaltigkeitsfonds weniger Corona anfällig: Den ESG-Trend besser nicht ignorieren
Nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, ist auch Nachhaltigkeit drin. Einen Wegweiser gibt Stefan Preuß in der aktuellen Smart Investor Ausgabe an die Hand.
„Klimarisiko ist auch ein Anlagerisiko.“ Larry Fink, CEO des weltgrößten Vermögensverwalters – BlackRock –, steht nicht eben im Verdacht, grünen Vorstellungen in übertriebenem Maße nachzuhängen. Aber er versteht, dass die physischen Auswirkungen von Klimawandel, Artensterben und Umweltgiften entscheidend für die langfristigen Chancen von Unternehmen sind.
In seinem Schreiben an die Chefs großer börsennotierter Unternehmen stellte er unlängst fest, dass diese Risiken von den Märkten bislang nur zögerlich zur Kenntnis genommen werden. „Aber das Bewusstsein ändert sich rasant, und ich bin überzeugt, dass wir vor einer fundamentalen Umgestaltung der Finanzwelt stehen“, befindet der BlackRock-CEO.
In den Marketing- und IR-Abteilungen vielzähliger Unternehmen und vor allem von Fondsanbietern ist die Nachhaltigkeitsbotschaft angekommen. Das führt dazu, dass neben wirklich nachhaltigen Veränderungen, etwa in Produktion oder Beschaffung, mitunter auch Greenwashing betrieben wird – oder Investments angeboten werden, die die bekannten Schlagwörter von „Sustainable“ über „Impact“ bis „Fair“ oder Abkürzungen wie ESG und SDG aus Marketing- und Vertriebszwecken in die Fondsnamen einsetzen, ohne diese Versprechen zu halten.
Zur Begriffsbestimmung
Nachhaltige Investments sind ein Teilbereich verantwortlicher Geldanlagen, wie sie in den UN Principles for Responsible Investments (UNPRI) definiert sind. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Themenfonds zu erneuerbaren Energien, Wasser oder ökologische Landwirtschaft, etwa über Fonds oder direkte Anteile. Verantwortliche Anlagen beachten zudem die 17 Entwicklungsziele der UN, Sustainable Development Goals genannt (SDGs), die häufig auch als ESG-Kriterien (Environment, Social Responsibility und Governance) bezeichnet werden. Die Entwicklungsziele reichen vom Kampf gegen den Hunger über sauberes Trinkwasser, Gleichberechtigung, die Überwindung ökonomischen Ungleichgewichts, gute Bildung bis hin zur Rücksicht auf das Leben in den Ozeanen sowie Frieden und Gerechtigkeit.
Verantwortliches Investieren senkt nachweislich zahlreiche Risiken
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Bedenken, diese Einengung drücke auf die Performance, das gute Gewissen koste mithin bares Geld, zerstreuen Befürworter dieses Investmentansatzes mit dem Hinweis auf wissenschaftliche Untersuchungen. Eine Metastudie von Friede et al., die 334 Untersuchungen dazu ausgewertet hatte, kam zu dem Ergebnis, dass bei Anleihen und Immobilien in etwa zwei Dritteln der Anlagen positive Auswirkungen auf die Performance nachzuweisen sind. Bei Aktien beträgt die Rate gut 50 Prozent – und nur bei 4,4 Prozent waren negative Auswirkungen festzustellen.
Verantwortliches Investieren zahlt sich demnach vor allem durch verminderte Risiken aus: Regulations-, Ereignis-, Klage-, Reputations- und Technologierisiken werden deutlich reduziert. Das Ratingunternehmen Scope hat vor kurzem ermittelt, dass Nachhaltigkeitsfonds in der Corona-Abschwungphase bis Mitte März im Schnitt einige Prozentpunkte weniger verloren und gleichzeitig in der folgenden Erholung überproportional profitierten. Unter den nachhaltigen Aktienfonds konnten Produkte mit globalem, europäischem und nordamerikanischem Investmentfokus im Durchschnitt ihren Vergleichsindex schlagen. Die höchste Outperformance erzielten global orientierte Nachhaltigkeitsfonds.
Im Kern geht es um die grundlegende Neubewertung von Risiken und Vermögenswerten – und weil Kapitalmärkte künftige Risiken vorab einpreisen, „werden wir bei den Kapitalallokationen schneller Veränderungen sehen als beim Klima selbst“, betont Larry Fink. ESG-Integration sei dabei keine triviale Investmentstrategie, warnen die Autoren der aktuellen Marktanalyse des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG): „Sie in das gesamte Kerngeschäft eines Assetmanagers zu implementieren ist ein komplexer Vorgang, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und verschiedene Unternehmensbereiche und -prozesse betrifft.“
Folgt man dieser Argumentation, sind Investoren einstweilen bei solchen Unternehmen und Anbietern besser aufgehoben, die bereits seit Jahren – oder besser: Jahrzehnten – und umfassend nachhaltige Themen verfolgen. Das muss nicht heißen, dass Newcomer ohne einschlägige Erfolgsbilanz nicht auch seriöse und attraktive Nachhaltigkeitsangebote machen könnten – sicherer dürfen sich Investoren natürlich bei Anbietern fühlen, die mit kirchlichem, genossenschaftlichem und sozialpolitisch engagiertem Hintergrund die sozial-ökologische Form der Geldanlage quasi mitentwickelt haben.
Die Komplexität der Bewertung, ob etwas nachhaltig ist oder nicht, unterstreicht eine von der Verbraucherzentrale Bremen in Auftrag gegebene Untersuchung, im Rahmen derer konventionelle Fonds mit Nachhaltigkeitsprodukten verglichen wurden.
Es zeigte sich, dass die Bewertung der Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen vorgenommen und insbesondere indirekte Treibhausgasemissionen berücksichtigt werden müssen. Basierend auf dem Standard des Greenhouse Gas Protocol wurden bei der vorgestellten Klimaanalyse die direkten und die indirekten Treibhausgasemissionen der Unternehmen vollständig berücksichtigt. „Dabei werden drei sogenannte Scopes unterschieden: Treibhausgasemissionen aus dem operativen Geschäft (Scope 1), aus zugekaufter Elektrizität und Wärme (Scope 2), sowie aus der Wertschöpfungskette und dem Nutzungszyklus der entsprechenden Produkte und Dienstleistungen (Scope 3)“, so die Untersuchung.
Nur eine ehrliche Klimabilanz hilft weiter
Insbesondere die Ebene der Wertschöpfungskette und des Nutzungszyklus ist bei der vollständigen, umfassenden Ermittlung der Treibhausgasemissionen eines Unternehmens von Bedeutung. So müssten
beispielsweise bei der Erstellung einer „ehrlichen“ Klimabilanz für eine Bank ebenfalls die Klimaauswirkungen der vergebenen Kredite berücksichtigt werden. Ein Hinweis darauf, dass sich diese
Betrachtung zunehmend durchsetzt, ist zum Beispiel die ganz aktuelle Mitteilung der Deutschen Bank, sich zunehmend aus Krediten für Kohle, Öl und Gas
zurückzuziehen. In der Klimabilanz eines Autoherstellers muss auch der Treibhausgasausstoß berücksichtigt werden, der während der Lebensdauer sowie bei der Entsorgung der Autos entsteht.
Laut Berenike Wiener, Head of CSR and Sustainable Finance bei der Evangelischen Bank, existieren inzwischen viele hilfreiche Plattformen und Siegel, die Investoren bei der Orientierung
zugutekommen. „Zu nennen wären etwa der Bundesverband Deutscher Stiftungen, das Center for Social and Sustainable Products (CSSP), das Forum Nachhaltige Geldanlagen und andere.“ Aus ihrer Sicht ist
es für Investoren unerlässlich, sich intensiv mit dem Themenfeld nachhaltiger Investments zu beschäftigen und dann eigene Kriterien zu entwickeln.
Dr. Rupini Deepa Rajagopalan, Head of ESG bei Berenberg, sieht in der Bewertung durch Agenturen und der Vergabe von Siegeln prinzipiell einen hilfreichen Weg, warnt aber vor unkritischem Vertrauen:
Es gibt viele Anbieter von ESG-Daten, die mit vielen verschiedenen Methoden arbeiten. Allerdings geben diese ESG-Datenanbieter nur selten Informationen darüber hinaus, wie sie zu ihren Scoring-Methoden gekommen sind. Hier fehlt es den ESG-Datenanbietern an Transparenz.
Die grundsätzliche Bedeutung und der Nutzen des ESG-Scoring seien unbestreitbar, die Methoden dahinter aber bisweilen fehlerhaft. Es würden Unternehmen, die große Datenmengen veröffentlichen, mit positiven Scorings belohnt, ohne zu untersuchen, was tatsächlich offengelegt wird.
Es ist also die Quantität, die vielfach einzig zählt. Das zeigt sich etwa auch daran, dass bei großen Unternehmen die Qualität der Informationen abnimmt, je tiefer man in die Daten reingeht.
Um wirklich nützliche Daten zu finden, aufgrund derer sich fundierte Entscheidungen über das potenzielle Wachstum des Unternehmens unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit treffen lassen, sei deshalb bedeutend mehr Arbeit nötig, als sich nur die Informationen der Datenanbieter anzusehen.
Wichtig ist dabei aber, die jeweilige Systematik hinter dem Rating zu verstehen. Das ist nicht so einfach, denn wie bei Kreditratings geben auch die Nachhaltigkeitsagenturen ihre Kriterien nicht vollumfänglich preis. Lediglich die grundlegenden Systematiken sind bekannt, etwa die Zuordnung von Umsätzen zur Erfüllung bestimmter SDGs, die Klassifizierung von Investmentthemen für deren Tauglichkeit zur Beförderung der SDGs oder die Vergabe von Punkten für Risikomanagement, Engagement, Berichterstattung oder Voting zur Einordnung in ein Ranking.
Fazit
Man kann zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und den damit verbundenen Umwälzungen zum Beispiel in der Mobilität oder Energieerzeugung stehen, wie man mag – als smarter Investor sollte man aber den Trend zu nachhaltigen Geldanlagen nicht ignorieren, denn die Allokationen in einschlägige Anlagen steigen. Investitionen nach ESG-, UNPRI-oder SDG-Kriterien werden oft als wachstumsfeindlich denunziert. Das allerdings ist nachweislich falsch: Es geht weiterhin um Wachstum, aber eines, das Umweltkosten einrechnet.
Autor: Stefan Preuß
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