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Zitelmann provoziert: „Linnemann, Merz, Bosbach, Lindner und Palmer in meine Regierung!" - Polit-Patronen
Rainer Zitelmann kämpft für seine Überzeugung, dass der Kapitalismus sehr viel Besseres für die Gesellschaft leistet, als sein mieser Ruf erahnen lässt. Wir haben Rainer Zitelmann zum Redaktionsgespräch gebeten.
Everybody's Darling ist er bestimmt nicht, will er womöglich auch gar nicht sein. Sonst müsste er viel mehr dem Zeitgeist hinterherlaufen. Im Gegenteil: Rainer Zitelmann zerrt an den Nerven dieser Republik. Als Börsianer und Kapitalismus-Fan kann es sich aber lohnen, dem erfahrenen sowie äußerst erfolgreichen Investor und in unzähligen, politischen Streitgesprächen gestählten Mann zuzuhören:
wallstreet:online: Herr Zitelmann, geben Sie es zu, Sie wollen provozieren oder warum sollten wir jetzt Ihr neuaufgelegtes Polit-Buch aus dem Jahr 1994, „Wohin treibt unsere Republik?“, Untertitel „Wie Deutschland links und grün wurde“ lesen?
Rainer Zitelmann: Deutschland hat sich immer weiter nach links und grün entwickelt, die „Political Correctness“ behindert eine freie Diskussion wichtiger Themen. Viele Menschen verstehen nicht, wie es dazu kommen konnte. Das genau zeige ich in dem Buch, in dem ich die Entwicklung von 1945 bis Mitte der 90er Jahre beschreibe und analysiere. Mir haben viele jüngere Leser, die diese Zeit ja nicht selbst erlebt haben, geschrieben, wie wichtig das Buch für sie ist, da sie vorher nicht verstanden haben, wie es dazu kommen konnte, dass linke Ideen heute so stark dominieren. Dass die Analyse zutreffend war, sieht man heute, 27 Jahre später, weil ich auf dieser Basis zahlreiche Dinge vorhergesagt habe, die genauso eingetreten sind. Das hat viele Leser des Buches überrascht. Es zeigt aber, dass man mit einer Kombination von historischer Analyse, demoskopischen Daten und etwas Fantasie viele Entwicklungen treffend vorhersagen kann. Dafür muss man kein Hellseher sein.
Übrigens: Auch beim Investieren ist es ja wichtig, dass Sie ein gewisses Bild der künftigen Entwicklung haben und damit überwiegend richtig liegen – hätte ich das nicht gehabt, wäre ich nie reich geworden.
wallstreet:online: Eine Ihrer Hauptthesen ist, dass Deutschland nach links driftet, einen „grünen“ Anstrich abbekommt. Ja, und? Was ist daran so schlimm?
Rainer Zitelmann: Unser Wohlstand beruht auf der Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard damals eingeführt hat. Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was Marktwirtschaft ist. Sie glauben an den allmächtigen, planenden Staat. Dieses Denken reicht bis weit hinein in die Union, aber in der reinsten Form wird es von SPD, Linken und Grünen vertreten. Der Marsch in eine Planwirtschaft hat ja schon begonnen, wenn Sie sich etwa den Energiesektor anschauen. In Berlin kann man sehen, was mit dem Wohnungswesen geschieht, wenn SPD, Grüne und Linke zusammen regieren: Da gelten dann bestehende Verträge und Eigentumsrechte nichts mehr. Der Rechtsstaat wird immer mehr ausgehöhlt. In so einem Land will ich nicht leben.
wallstreet:online: Bezogen auf das Thema Medien wollen Sie erkennen, dass sich deutsche Politiker nach der politischen Grundhaltung der einflussreichsten Medien ausrichten und dabei die Mehrheitsmeinung der Wähler missachten würden. Als Beispiel führen Sie das Thema Asyl- und Ausländerpolitik an. Bei diesem Thema würde die Meinung der Medien im Widerspruch zu der Meinung der Wähler stehen. Gibt es Belege dafür? Wie kommen Sie zu dieser These?
Rainer Zitelmann: Ja, wir wissen aus allen Umfragen, dass die Mehrheit der Wähler für eine restriktive Zuwanderungs- und Asylpolitik ist. Wir wissen auch, dass sie für konsequentere Abschiebungen eintreten. Wenn die Politik nicht entsprechend handelt, dann liegt das an zwei Gründen: Erstens an ideologischer Prägung und zweitens daran, dass sie den Aufschrei der Medien befürchten. Insbesondere das Fernsehen wird doch heute weitgehend von Sympathisanten der Grünen bestimmt – und all dies hatte ich damals schon in dem Buch vorhersagt und die Gründe analysiert, wie es dazu kommen konnte.
wallstreet:online: Streckenweise erinnert Ihr Vorwort zur neuen Auflage im weiteren Verlauf an eine Brandrede gegen einen „Sozialismus des 21. Jahrhundert.“ Auf der anderen Seite erleben wir Börsenjournalisten die ersten zarten Pflänzchen einer Robin Hood-Generation, die – ermutigt durch das Angebot von Online-Brokern wie unserem Smartbroker – immer zahlreicher in Aktien investieren. Inwieweit müssen wir uns fürchten, dass irgendwelche Neu-Sozialisten die Läden dicht machen?
Rainer Zitelmann: Ich finde es toll, wenn junge Menschen die Börse für sich entdecken. Ich erinnere mich jedoch auch an Ende der 90er Jahre, als das auch schon einmal so war. Damals waren viele begeistert vom „Neuen Markt“. Für junge Menschen ist das Geschichte. Sie haben in ihrem ganzen Leben noch keinen längeren Bärenmarkt erlebt. Sie haben nur erlebt, dass jeder Rückgang bald wieder aufgeholt und die alten Höchststände weit überholt wurden. Abstrakt wissen die sicher, dass das nicht immer so sein wird. Aber das abstrakt zu wissen oder konkret zu erleben ist so ähnlich wie der Unterschied, dass Sie abstrakt wissen, eine Zahnbehandlung kann unangenehm sein und dann konkret auf dem Stuhl sitzen und Schmerzen erleben. Ich fürchte, dass bei einem längeren Rückschlag viele Menschen so reagieren werden, wie sie 2002/2003 reagiert haben und sich dann sagen: „Mit Aktien habe ich es auch mal versucht, aber das war eine große Täuschung.“ Ich fände das sehr schade. Übrigens wird genau das dann der Zeitpunkt sein, wo es sich für langfristig orientierte Investoren lohnt, einzusteigen.
wallstreet:online: Jetzt mal Butter bei die Fische, angenommen, Sie würden eine Regierungskoalition in unserem Bundestag anführen. Sie würden nächsten Monat ins Kanzleramt einziehen. Welche fünf Gesetze würden Sie als Erste durch den Abstimmungsprozess bringen wollen und welche fünf Persönlichkeiten würden Sie in Ihr Kabinett bitten und mit welchen Ressorts betrauen?
Rainer Zitelmann: Also fangen wir mit den Personen an: Wirtschaftsminister Harald Christ (FDP) oder Carsten Linnemann (CDU). Finanzminister Friedrich Merz (CDU). Inneres: Wolfgang Bosbach, wenn der gesundheitlich kann, ansonsten würde ich Peter Gauweiler (CSU) bitten, sich noch mal zu aktivieren. Digitalisierungs-Ministerium Christian Lindner (FDP) und Bildungsministerin Anna-Elisabeth von Treuenfels (FDP). Für das Außenministerium würde ich einen Parteilosen vorsehen, und zwar Professor Gregor Schöllgen. So etwas muss ein Historiker machen. Oliver Luksic (FDP) würde ich zum Umwelt- und Verkehrsminister machen und Linda Teuteberg (FDP) zur Familienministerin. Zum Gesundheitsminister würde ich Boris Palmer von den Grünen machen, auch wenn die nicht zur Koalition gehören würden.
Das erste Gesetz wäre eines zur Bekämpfung des Klimawandels mit dem Hauptthema: Wie können wir die Energiewende rückgängig machen und wieder Kernkraftwerke bauen in Deutschland? Die anderen Gesetze würde ich von den genannten Personen vorschlagen lassen.
wallstreet:online: Nach einem Parforceritt durch Ihre politischen Thesen, erlauben Sie bitte – mit Verlaub – eine privatere Frage: Zurzeit laufen die Börsen - vor allem die US-Börsen heiß - zudem sind Trendaktien-Themen wie Wasser- und Impfstoff-, Cannabis-, Goldminen- und Plattform-Aktien sowie die Big Techs ganz oben auf der Agenda der Selbstentscheider-Anleger. In was investieren Sie jetzt? Und: Mit welchen Investments kamen und kommen Sie zu Ihren kapitalistischen Erfolgen?
Rainer Zitelmann: Na ja, bei mir steht der Vermögensaufbau nicht mehr im Vordergrund, sondern die Bewahrung des bestehenden Vermögens. Ich investiere grundsätzlich nicht in Einzelaktien, habe aber für einen größeren Betrag im März 2020 Anteile dieses Fonds gekauft: SPDR MSCI ACWI IMI UCITS Ansonsten habe ich in den vergangenen Jahren viele Immobilien in Deutschland verkauft, besitze allerdings immer noch welche, sowohl hier als auch in den USA. Auch wenn es viele Ihrer Leser ärgern wird, erkläre ich, was ich auf keinen Fall tun würde: Bitcoin kaufen. Ich weiß, dass manche Leute damit viel gewonnen haben, aber ich bin kein Spieler und Spekulant, sondern ein Investor.
wallstreet:online: Herr Zitelmann, herzlichen Dank für das Interview!
Das Interview führte Christoph Morisse, wallstreet:online Zentralredaktion.
Kurzvita von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Zitelmann studierte Geschichte und Politikwissenschaft und promovierte 1986 mit einer Arbeit über Hitlers Selbstverständnis als Revolutionär. Von 1987 bis 1992 war er Wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin, danach war er Cheflektor des Ullstein-Propyläen-Verlages und Ressortleiter bei der Tageszeitung „Die Welt“. Im Jahr 2000 gründete er die Dr. ZitelmannPB. GmbH, die er 2016 verkaufte. 2016 promovierte er ein zweites Mal, diesmal in Soziologie über „Die Psychologie der Superreichen“. Heute ist Zitelmann international als Buchautor, Publizist und Vortragsredner tätig. Er hat 24 Bücher geschrieben und herausgegeben, die vor allem in Asien sehr erfolgreich sind. In den vergangenen zwei Jahren erschienen Artikel über oder von Zitelmann u.a. in folgenden Medien: Forbes, Washington Examiner, National Interest, Times, Le Monde, Le Point, Corriere della Sera, Il Giornale, Neue Zürcher Zeitung, Die Welt, FAZ, Focus.