Warum die Diskussion um Özils Rücktritt unehrlich ist
So wie Özil fühlen die meisten türkischstämmigen Migranten - Seite 2
Das Problem ist nicht Özil, sondern die missglückte Integration
Insofern ist es in der Tat unehrlich, jetzt alle Kritik auf Özil abzuladen. Das Problem ist nicht die Haltung von Özil allein, sondern das Problem ist die nicht geglückte Integration. Und daran
sind beide Teile schuld:
- Viele Bürger mit türkischer Herkunft, weil sie sich nicht in die deutsche Gesellschaft integrieren wollen, die Sprache nicht lernen, sich abschotten und sich als Opfer sehen.
- Wir Deutsche sind aber auch schuld, weil wir Integration nicht deutlicher eingefordert haben und weil man ja von Migranten und deren Nachkommen schwer erwarten kann, dass sie stolz sind auf Deutschland und sich mit dem Land identifizieren, wenn viele Deutsche (anders als die meisten anderen Nationen) selbst damit ein Riesenproblem haben.
Özil selbst ist Deutscher - er ist in Gelsenkirchen geboren - und hat keinen türkischen Pass. Aber seine Bewunderung für Erdogan teilt er mit den hier lebenden Türken, wie alle Wahl- und
Abstimmungsergebnisse der vergangenen Jahre belegen:
- Bei den Wahlen im November 2015 stimmten in Deutschland 59,7% der Türken für Erdogans AKP, in der Türkei selbst waren es mit 49,5% zehn Prozentpunkte weniger.
- Beim Verfassungsreferendum in der Türkei im April 2017 stimmten 63% der hier lebenden Türken für Erdogans Entwurf, in der Türkei waren es mit 51,4% fast zwölf Prozentpunkte weniger.
- Und bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 stimmten 64,8% der hier lebenden Türken für Erdogan, 12,2 Prozentpunkte mehr als in der Türkei.
Sogar der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir musste nach der Wahl zugeben: "Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich
ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus."
An Özils Stelle würde ich mich auch ungerecht behandelt fühlen: Denn all seine Haltungen und Einstellungen sind geradezu prototypisch für in Deutschland lebende türkischstämmige Migranten. Nur
haben viele davor bisher die Augen zugemacht. So hatte Angela Merkel Özil zum Musterbeispiel für gelungene Integration stilisiert und sich nach den Erodgan-Fotos ausdrücklich vor ihn gestellt. Und
Claudia Roth von den Grünen versuchte mit billigen Rechentricks, die breite Zustimmung der in Deutschland lebenden Türken für Erdogan zu leugnen.
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