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    Marktkommentar  1050  0 Kommentare Dr. Frank Engels (Union Investment): Konjunkturzyklus in neuem Gewand

    Was die aktuelle Wirtschaftslage besonders macht – und die Folgen für Anleger.

    Kaum ein Faktor hat langfristig einen vergleichbar stabilen Einfluss auf die Kapitalmärkte wie die Konjunktur. Eine stimmige Konjunkturanalyse war folglich schon die halbe Miete für den Anlageerfolg. Doch der jetzige Zyklus ist anders als wirtschaftshistorisch gewohnt. Auch die Anlageklassen reagieren nicht wie erwartet. Für Investoren sollte dieses „neue Gewand“ eine wichtige Einflussgröße bei ihrer Investmententscheidung sein.

    Was sind die Gründe, dass klassische Muster nicht wie gewohnt auf den derzeitigen Zyklus anwendbar sind?

    Grund 1: Kraftloser Boom

    Ausschlaggebend für die Weltwirtschaft und damit die Kapitalmärkte ist immer noch die US-amerikanische Volkswirtschaft. Sie gibt als Leitökonomie den konjunkturellen Takt vor. Auffällig dabei: Der aktuelle Aufschwung in den Vereinigten Staaten ist zwar mit 113 Monaten der zweitlängste der Nachkriegszeit. Allerdings liegt die wirtschaftliche Expansion gemessen am Zuwachs des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) deutlich unter dem Durchschnitt. Für eine ähnlich starke BIP-Ausweitung seit Rezessionstief wie derzeit mit rund 21 Prozent benötigten die USA in den 1970ern nur etwa halb so lange

    Grund 2: Lange Phase des geldpolitischen Ausnahmezustands

    Die Zentralbanken mussten vor diesem Hintergrund anders agieren als in früheren Konjunkturzyklen. Bislang galt stets die Daumenregel: Je länger der Aufschwung, umso stärker der Inflationsdruck. Im aktuellen Zyklus war aber über weite Strecken kein Anstieg des Preisniveaus festzustellen. Anders ausgedrückt: die Philipps-Kurve war überraschend flach.

    Ökonomen führten dies zum Teil auf die Tiefe der vorangegangenen, durch die Finanzkrise ausgelöste Rezession zurück. Man sprach von „Slack“, was sich mit „Schlupf“ ins Deutsche übersetzen lässt. Ähnlich wie ein Auto auf rutschiger Fahrbahn konnte die Konjunktur kaum Traktion entwickeln. Der wirtschaftliche Vortrieb blieb begrenzt, und mit ihm Wachstum, Beschäftigung, Inflation – und letztlich auch die Notwendigkeit zu einer geldpolitischen Normalisierung. Ein Grund für die fehlende Traktion war und ist der regulatorisch begrenzte Risikoappetit der Banken. Stattdessen setzen die Zentralbanken über eine sehr lange Zeit auf eine außergewöhnlich lockere Zins- und Liquiditätspolitik, da man die Notwendigkeit für eine Unterstützung der Konjunktur sah – nicht zuletzt als Folge der restriktiver gewordenen Fiskalpolitik sowie der Probleme im Bankensektor – und man das drohende Abrutschen in eine Deflationsphase unbedingt vermeiden wollte. Eine lange Phase des geldpolitischen Ausnahmezustands war die Folge

    Grund 3: Kapitalmärkte zwischen Konjunktur und Geldpolitik

    Die Kapitalmärkte handelten also in einem Spannungsfeld zwischen schwacher wirtschaftlicher Erholung und unterstützender Geldpolitik. Viele ökonomische Variablen – von Investitionen über Kapazitätsauslastung bis hin zur Inflation – blieben hinter den historisch normalen Niveaus zurück. Daher kamen auch die üblicherweise von der Konjunktur entfesselten Zugkräfte auf die Kapitalmärkte in diesem Zyklus teilweise nicht zum Tragen: Unternehmen hatten lange Zeit weniger Spielraum zur Steigerung ihrer Umsätze, die Nachfrage nach Wachstumskapital war gedämpft, der Bedarf an Rohstoffen stieg weniger stark als gewohnt.

    Aber: Diese Phase endete spätestens mit dem Jahr 2017. Die Börsen sind in ein anderes Marktregime eingetreten, die Muster verändern sich. Ausschlaggebend dafür ist das graduelle Verschwinden des konjunkturellen Slacks. Damit bekommt die Konjunktur wieder Traktion und den Zentralbanken eröffnet sich die Möglichkeit, ihre Stützungsmaßnahmen zurückzufahren. Genau diese Kombination führt an den Kapitalmärkten zu atypischen Bewegungen.


    Was ist anders?

    Bedingt durch die schwache Erholung ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nur verspätet und dann lediglich moderat angesprungen. In der Folge haben die Unternehmen mit großer Zurückhaltung in ihre Produktionskapazitäten investiert. Das begrenzt den Bedarf an vielen Rohstoffen wie etwa Industriemetallen, was wiederum die Aktien von Förderkonzernen oder Herstellern von Ausrüstungsgütern betrifft.

    Regional betrachtet gehören typischerweise die Emerging Markets zu den Profiteuren spätzyklischer Konjunkturphasen wie derzeit. Zum einen sind viele dieser Länder große Rohstoffexporteure, zum anderen handelt es sich oftmals um wichtige Produktionsstandorte von Konsumgütern. In den vergangenen Monaten jedoch schnitt die Anlageregion sowohl bei Aktien, Anleihen als auch Währungen schlechter ab als die etablierten Industrieländer.


    Trumps Wirtschaftspolitik verzerrt den Konjunkturzyklus

    Daneben spielt im aktuellen Zyklus ein bislang unbekanntes Phänomen eine Rolle: Donald Trump. Trumps Wirtschaftspolitik verzerrt gleich auf mehreren Ebenen den Konjunkturzyklus.

    Steuerreform verhilft US-Aufschwung zu einer zweiten Luft

    Ohne die Fiskalspritze aus Washington wäre die amerikanische Konjunktur vermutlich in den kommenden Monaten in eine Phase des Durchatmens eingetreten. Stattdessen hat sie zu einer Beschleunigung angesetzt. Auf mittlere und längere Frist wird dieser Effekt wieder abnehmen. Aber für den Moment führt der Impuls dazu, dass US-Unternehmen prächtig verdienen – vor allem, wenn sie stark auf dem Heimatmarkt aktiv sind. Das wiederum führt auch zu einer Verschiebung der relativen Attraktivität. Gesucht wird US-Exposure, weniger Internationalität. In einem historisch normalen Zyklus, in dem sich das US-Wachstum langsam abschwächen würde, wäre das mit Sicherheit anders.

    Schwellenländer leiden unter Trumps protektionistischer Handelspolitik

    Hinzu kommt die Handelspolitik. Investoren rund um den Globus lesen täglich Trumps Twittermeldungen und preisen seine Tiraden in Anlageentscheidungen ein. Denn auch wenn die jüngsten Entwicklungen rund um den NAFTA-Nachfolger zeigen, dass die USA nach wie vor Interesse am Freihandel haben: Der Schaden ist teilweise schon entstanden. Viele Unternehmen zögern ihre Investitionen in fremden Währungsräumen hinaus, vor allem wenn die Kapazitäten für den Export in die USA bestimmt sind. Dieser Erwartungseffekt trifft insbesondere die Schwellenländer. Als Gewinner der Globalisierung sind sie jetzt die Verlierer des Protektionismus.

    Staatliches Defizit steigt – mit Folgen für den US-Dollar

    Schließlich ist mit erheblichen Auswirkungen der Trump’schen Steuerpolitik auf die fiskalische Lage der USA zu rechnen. Der Wachstumsimpuls wird erkauft durch eine deutliche Erhöhung des staatlichen Defizits, das erstmals ohne Eintritt in eine Rezession spürbar steigen wird. Die Prognosen des Congressional Budget Office (CBO) sehen in den kommenden fünf Jahren eine Erhöhung des Netto-Schuldenstandes der Bundesebene bis auf ein Niveau von 90 Prozent des BIP vor – trotz gut laufender Wirtschaft. In den USA ist das „Zwillingsdefizit“ zurückgekehrt, also eine Kombination aus Löchern in Leistungsbilanz via höhere Importe durch stärkere inländische Nachfrage und Staatssäckel. Das dürfte dazu führen, dass der US-Dollar – anders als häufig in spätzyklischen Konjunkturphasen – eher zur Schwäche neigt.


    Vier Empfehlungen für Investoren

    Was lässt sich nun aus diesen Entwicklungen für Investoren ableiten?

    1. Nicht blind an historischen Mustern festhalten, sondern die Lage eingehend analysieren: Das derzeitige Umfeld unterscheidet sich grundlegend von früheren Wirtschaftsphasen, sodass Vergleiche nur eingeschränkt weiterhelfen.
    2. Aufmerksam sein, denn die Favoriten können schnell wechseln: Gerade spätzyklische Konjunkturphasen sind für Anleger tückisch, da bereits die Aussicht auf eine Rezession an den Märkten mit einem 180-Grad-Favoritenwechsel quittiert wird. Sind vorher Risikoassets wie Aktien und Rohstoffe interessant, spricht danach alles für die sicheren Häfen.
    3. Selektion, Selektion, Selektion: Die Divergenzen zwischen den Unternehmen, Branchen und Anlageräumen nehmen zu, insbesondere da tradierte Muster nur bedingt tragen. In diesem Umfeld kann aktive Titelselektion ihre Vorteile ausspielen.
    4. Dabei bleiben, denn ein Zyklusende kann dauern: Der aktuelle Aufschwung war lang und schwach, daher kann die Konjunktur noch eine ganze Weile spätzyklisch weiterwachsen. In dieser Spanne können durchaus noch interessante Kursanstiege möglich sein. Ein zu früher Ausstieg aus Risikoassets könnte die Performanceaussichten schmälern.


    In diesem Konjunkturzyklus ist also vieles anders als in früheren Phasen. Gemessen an den tektonischen Verschiebungen der vergangenen zehn Jahre – als Stichworte seien hier nur die Finanzkrise, die Geldpolitik und der Aufstieg des Populismus genannt – kann diese Erkenntnis nicht überraschen. Ein „Weiter so“ konnte es für die Kapitalmärkte kaum geben. Das bedeutet  nicht, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt wurden. Aber die Grenzerfahrungen der letzten Dekade haben die Märkte an den Rand des bekannten Terrains gebracht. Derzeit stehen die Chancen gut, dass wir uns in vielerlei Hinsicht wieder in normaleres Fahrwasser bewegen, etwa mit Blick auf Konjunktur und Geldpolitik. Bei anderen Strukturbrüchen, beispielsweise auf der geo- und handelspolitischen Ebene, stehen wir hingegen möglicherweise erst am Anfang. Anleger tun gut daran, sich frühzeitig darauf einzustellen.

    Stand: 01. November 2018

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