Risikoprämien im historischen Mittelwert
Die Aufholjagd am Anleihemarkt geht weiter – und warum Wirecard-Anleihen nie eine Chance hatten
Die Anleihemärkte mit Fokus auf Unternehmensanleihen erzielten zwischen April und Juni eines ihrer besten Quartalsergebnisse in den vergangenen zehn Jahren. Trotz dieser deutlichen Erholung gehen wir davon aus, dass noch nicht das Ende des Kursaufschwungs erreicht ist.
Dafür spricht, dass nach heftigen Ausverkaufsphasen in der Vergangenheit häufig eine positive Tendenz beobachtet werden konnte. Zudem lag die Risikoprämie im März um das Fünffache höher als im historischen Durchschnitt und ist trotz der jüngsten Einengung noch nicht am historischen Mittelwert angelangt. Entsprechend günstig ist die aktuelle Bewertung. Auf dem aktuellen Niveau ist der Markt längst nicht so teuer wie zu Beginn dieses Jahres.
Nach unserer Analyse bewegen sich die Risikoprämien von Unternehmensanleihen um ihren historischen Mittelwert. Nach dem starken Anstieg im März folgte seit April eine deutliche Erholung. Dennoch besteht bei europäischen High Yield Anleihen weiteres Potenzial zum 10-jahres-Durschnitt von ca. 140 Basispunkten. Begünstigt wird die Entwicklung von der wirtschaftlichen Erholung, die sich positiv auf Unternehmensgewinne auswirken sollte. Beides dürfte sich in steigenden Anleihekursen widerspiegeln. Derzeit liegt die Rendite bei High Yields im Schnitt bei 4,5 Prozent bei Anleihen mit einer Restlaufzeit von unter vier Jahren.
Auch das Sentiment lässt Luft nach oben – abzulesen an unserem hausinternen Risikoindex, der zwischen 0 und 1 oszilliert. Mitte März lag die Stimmung auf einem Niveau von 0,02, aktuell bei 0,7. Die Marktstimmung ist somit nicht von Euphorie geprägt. Wir erwarten für die zweite Jahreshälfte zwar eine U-förmige Erholung der Konjunktur, aber das Vorkrisenniveau werden wir dieses Jahr nicht erreichen. Auch die noch immer steigenden Neuinfektionszahlen in den USA und einigen Schwellenländern könnten die wirtschaftliche Erholung verzögern. Daher könnte die Marktstimmung temporär belastet werden was mit einer erhöhten Volatilität einhergehen würde.
Wann ein antizyklisches Vorgehen Sinn macht: die Substanzfrage
Während sich Sektoren wie Lebensmittel, Technologie oder Tabak stark erholt haben und fast auf dem Niveau wie zu Beginn des Jahres handeln, ist die Erholung bei vielen Anleihen aus zyklischen Branchen noch nicht vollumfänglich eingepreist. Die höchsten Risikoprämien bieten aktuell der Energie, Automobil- und Touristiksektor. Die besten Chancen gibt es für antizyklische Investoren, die sich auf solide Unternehmen mit stabilen Cashflows, solider Liquiditätsausstattung und vertretbarer Verschuldung konzentrieren. Hier ist deutliches Erholungspotenzial vorhanden.
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Beispiel Wirecard
Ein antizyklisches Vorgehen macht jedoch keinen Sinn, wenn die Substanz oder das Vertrauen in ein Unternehmen fehlt. So haben wir zu keinem Zeitpunkt Wirecard-Anleihen in unser Portfolio genommen, obwohl sie mit einem Investment Grade-Rating versehen waren. Das Unternehmen konnte sich letztes Jahr in einer euphorischen Phase zu 0,5 Prozent Fremdkapital für fünf Jahre beschaffen. Es gab jedoch Anzeichen von unklaren Bilanzverhältnissen, kombiniert mit der unattraktiven Bewertung der Anleihen und schlechten Nachrichten, die uns von einem Anleiheinvestment in Wirecard abhielten. Zuletzt gab deutlich bessere Alternativen.
Ein Gastkommentar von Adam Choragwicki, Leiter Rentenfondsmanagement StarCapital