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     912  0 Kommentare Gewalt ist der große Gleichmacher in der Geschichte

    Die Geschichte zeigt: Wenn die Gleichheit stark zugenommen hast, dann meist durch Gewalt. Wenn der Wohlstand für viele Menschen stark zugenommen hat, dann durch den Kapitalismus.

    Verfasser der klassischen utopischen Romane waren geradezu besessen von der Idee der Gleichheit. In fast allen utopischen Entwürfen ist das Privateigentum an Produktionsmitteln (und manchmal sogar jedes Privateigentum) abgeschafft und jede Differenzierung zwischen arm und reich aufgehoben. In dem 1643 erschienenen Roman des Philosophen Tommaso Campanella über den „Sonnenstaat“ trugen fast alle Männer und Frauen dieselbe Kleidung. Und für die Christianopolitaner in dem utopischen Entwurf von Johann Valentin Andreae sind lediglich zwei Arten von Kleidung vorgesehen. Selbst die Wohngebäude sehen in vielen utopischen Romanen einheitlich aus. Kaum jemand, der „soziale Ungerechtigkeit“ beklagt, würde heute einer so radikalen Gleichmacherei das Wort reden. Fast jedermann akzeptiert, dass es Unterschiede im Einkommen geben solle, aber – so fügen viele hinzu: Diese Unterschiede sollten nicht „zu groß“ sein. Was jedoch ist „zu groß“ und was ist in Ordnung?

     

     

    Der Preis der Gleichheit

    Eine andere Frage, die zu selten gestellt wird, lautet: Was ist der Preis dafür, Ungleichheit zu beseitigen? Der renommierte Stanford-Historiker und Altertumswissenschaftler Walter Scheidel hat dazu 2018 eine beeindruckende historische Analyse vorgelegt: „Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit“. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in Gesellschaften, die von großen gewaltsamen Erschütterungen und deren Auswirkungen verschont wurden, nie eine wesentliche Verringerung der Ungleichheit beobachtet werden konnte.

    Die Gleichheit in Gesellschaften sei stets nur als Ergebnis von Katastrophen gestiegen, und zwar vor allem von:

    • Krieg

    • Revolution

    • Staatsversagen und Systemkollaps

    • Seuchen.

    Der größte Gleichmacher im 20. Jahrhundert waren nicht etwa soziale Reformen, sondern die beiden Weltkriege sowie die kommunistischen Revolutionen, wie Scheidel zeigt. Sowohl in den beiden Weltkriegen als auch bei den kommunistischen Gesellschaftsexperimenten kamen jeweils über 100 Millionen Menschen um.

     

     

    Weltkriege als Gleichmacher

    Scheidels Befund soll hier am Beispiel des Zweiten Weltkrieges veranschaulicht werden. Beispiel Japan: Dort flossen dem reichsten Prozent der Bevölkerung im Jahr 1938 19,9 Prozent des deklarierten Einkommens vor Steuern und Transfers zu. Doch in den folgenden sieben Jahren schrumpfte der Einkommensanteil dieser Gruppe um zwei Drittel auf 6,4 Prozent zusammen. Mehr als die Hälfte dieses Verlusts entfiel auf das reichste Zehntel dieser Spitzengruppe, dessen Anteil von 9,2 auf 1,9 Prozent abstürzte, also um fast vier Fünftel schrumpfte. Der reale Wert der deklarierten Vermögen des reichsten Prozents der Japaner schrumpfte zwischen 1936 und 1945 um 90 Prozent und im Zeitraum 1936 bis 1949 um fast 97 Prozent. Das reichste Promille büßte in diesem Zeitraum sogar noch mehr ein, nämlich 93 bzw. 98 Prozent. Das japanische Wirtschaftssystem wurde in dieser Zeit Schritt für Schritt faktisch in eine Planwirtschaft verwandelt, nur die Fassade einer kapitalistischen Marktwirtschaft wurde aufrechterhalten. Managerboni wurden begrenzt, es wurde eine strikte Miepreisregulierung eingeführt und zwischen 1935 und 1943 verdoppelte sich der Spitzensteuersatz auf Einkommen in Japan.


    Rainer Zitelmann
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    Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe - und zugleich ein erfolgreicher Investor. Er hat zahlreiche Bücher auch zu den Themen Wirtschaft und Finanzen* geschrieben und herausgegeben, viele davon sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. * Werbelink
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    Verfasst von Rainer Zitelmann
    Gewalt ist der große Gleichmacher in der Geschichte Die Geschichte zeigt: Wenn die Gleichheit stark zugenommen hast, dann meist durch Gewalt. Wenn der Wohlstand für viele Menschen stark zugenommen hat, dann durch den Kapitalismus.

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