Buchtipp
Die infantile Gesellschaft
„Der Wumms ist schon spürbar“, sagte Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz kürzlich dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ bei der Vorstellung neuer Wirtschaftszahlen. Es werde anerkannt,
dass die Bundesregierung mit Konjunkturprogramm und zwei Nachtragshaushalten „so schnell so groß gehandelt“ habe. Scholz bezog sich mit dem „Wumms“ auf eine eigene Äußerung: „Wir wollen mit Wumms
aus der Krise“ kommen, hatte er gesagt, und so lautet auch die Überschrift auf der offiziellen Seite der Bundesregierung.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, brachte einen ihrer ersten Beiträge zur Corona-Krise in Form eines Videos, in dem sie uns allen ausführlich erklärte, wie man sich die
Hände richtig wäscht – dabei die Europahymne summend. Angela Merkel, die den Bürgern zunächst sagte, Masken seien nutzlos (wohl deshalb, weil es keine gab), erklärte wenig später genau, wie man sie
benutzt: „Sie müssen regelmäßig gewaschen werden beziehungsweise gebügelt, in den Backofen gelegt oder in die Mikrowelle.“ Der Berliner Senat brachte jüngst eine Broschüre mit 47 Seiten heraus, in
der den Bürgern genau erklärt wird, wie sie sprechen sollten und wie nicht – also dass man beispielsweise den Begriff „Schwarz fahren“ nicht mehr verwenden dürfe.
Christian Lindner kritisierte im April 2020, er habe manchmal den Eindruck, „die Regierung spricht zu ihrem Souverän – den Bürgerinnen und Bürgern – wie zu Kindern…“ (S. 211). Zeichen für die
Infantilisierung der Gesellschaft gibt es also viele, und Alexander Kissler, ehemals Redakteur des „Cicero“ und jetzt bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ hat ein bemerkenswertes Buch darüber
geschrieben. Schon Aldous Huxley, so lernen wir, analysierte, wie das Kind als Begriffsjoker im Gespräch unter Erwachsenen verwendet werde (S. 34). Ein Beispiel dafür ist die Greta-Bewegung. Es
geht heute nicht mehr etwa nur darum, auch Kindern zuzuhören, sondern die Gewissheit verbreitetet sich im öffentlichen Diskurs: „Das Kind hat recht, weil es Kind ist, und wer es anders sieht, der
mag keine Kinder.“ (S.88). Es sind die Kinder von heute, die geborenen und ungeborenen Enkel, es sind die zornigen Mädchen, auf die man sich beruft, denen man nicht nur zuhören, sondern denen man
bedingungs- und vor allem widerspruchslos folgen muss. „Erwachsene zucken zusammen, verfallen in innere Habachtstellung, in sofort zerknirschte Duldungsstarre.“ (S. 89)